Großsiedlungen als Chance – Teil 02

Kinder ihrer Zeit? Köln Chorweiler – Entstehungsgeschichte einer westdeutschen Großsiedlung.

Nach dem zweiten Weltkrieg wurde der Architekt Rudolf Schwarz von 1946 bis 1952 Generalplaner für den Wiederaufbau der Stadt Köln. Er entwickelte während seiner Wirkungsphase das Modell der Doppelstadt Köln mit einem Zentrum der Bildung und des Handels im Süden und einem Zentrum der Arbeit und Industrie im Norden. Seine Auffassung von Architektur und Stadtplanung, welche er in seiner Schrift „Das neue Köln“ (1950) zusammenfasste, stehen im offenen Widerspruch zum funktionalistischen Städtebau des CIAM.1

Abb. 01 – Köln als geplante Doppelstadt

Ausgangspunkt für die Pläne von Rudolf Schwarz war die Hauptverkehrsachse Kölns welche die Stadt in einer doppelten Kurve durchbricht und somit dem Strom des Rheins folgt. Diese Achse trennt die Stadt in das geschützte und beruhigte Zentrum und die äußeren, von den Ringstraßen durchschnittenen,
Bereiche.

Aufgrund der Entstehung des Bayer Werks auf beiden Seiten des Rheins bei Leverkusen und den Mangel an Wohnraum für die geschätzten 70.000 Beschäftigten entwickelte Schwarz seine Idee der Doppelstadt.2 Neben der Bildungs- und Handelsstadt, der Kölner
Innenstadt, sollte im Norden eine neue Stadt der Industrie entstehen. Hauptstadt sollte das alte, südliche Köln bleiben und in Nippes überschnitten sich beide Städte miteinander.

Das Zentrum der neuen Stadt sollte um einen zentralen See entstehen welcher von kleineren Siedlungen und einigen größeren Mittelstädten umgeben wird. Zwischen den einzelnen Siedlungen plante Schwarz grüne Zwischenräume. Für Rudolf Schwarz war Köln keine Großstadt die einfach verdichtet werden musste. Er sah bei seiner Planung eine Stadtlandschaft vor, die neben der Kölner Innenstadt auch das gesamte Umland mit einbezog. Schwarz rechnete bei seiner Planung damals nicht damit, dass Köln jemals mehr als eine Million Einwohner haben könnte.3

Abb. 02 – Die Achse des Verkehrs

Anstelle der Massenstadt trat das Modell des
Städtebundes mit der Hochstadt als Krone.

1950 war die Innenstadt von Köln, wie auch in vielen anderen deutschen Städten, in einem schlechten baulichen wie sozialen Zustand. Schwarz wollte diesen Zustand umkehren und das Zentrum von Köln wieder zu einem attraktiven Ort machen. Seiner Meinung nach musste eine Umsiedlung der Bevölkerung eingeleitet werden um den damals schon vorhandenen Pendlerverkehr unter Kontrolle zu halten und die Menschen in der Nähe ihrer
Arbeitsplätze anzusiedeln. Rudolf Schwarz wollte jedem Bewohner Kölns, sei es ein Handwerker oder ein Beamter, ein eigenes Haus mit Garten ermöglichen. Dies bedingte jedoch die Umsiedlung der Menschen ins Umland, wo die entsprechenden Flächen für dieses Vorhaben vorhanden waren.4

Abb. 03 -Planung von Rudolf Schwarz für Köln Chorweiler

Die Außenstadt am Fühlinger See.

Die neue Stadt selber sollte kein Zentrum haben, von dem sich die Siedlung ausdehnt, sondern ein „Stadtorganismus“ sein, der in verschiedene Siedlungsgruppen gegliedert ist, die jede für sich autark funktionstüchtig sind. Die kleinste Einheit setzt sich aus einer Siedlung für 2500 Einwohner zusammen, der eine Volksschule, ein Gasthaus und Läden für Handel und Handwerk angeschlossen sind.

Die nächstgrößere Bebauungsgruppe bilden zwei Einheiten im Zusammenschluss. Diese Gemeinde sollte dann zusätzlich eine Kirche und eine Kinderkrippe erhalten und jeweils eine zusätzliche Aufgabe, welche im gemeinsamen Interesse der Stadt stehen sollte wie ein Krankenhaus, erfüllen. Diese Doppelgemeinden von jeweils 5000 Bewohnern sollten sich laut Schwarz sieben Stück um den Mittelpunkt der Siedlung gruppieren.

Abb. 04 – Flächenplan Chorweiler
Abb. 05 – Bauabschnitte

Hier argumentiert Schwarz widersprüchlich zu seiner vorigen Aussage der Zentrumslosigkeit, da so doch eine zentralisierende Wirkung auf stattfand.5 Den Verkehr innerhalb der neuen Stadt wollte Schwarz mit Anliegerstraßen beruhigen. Eine Straße sollte dann ringförmig die Mitten der sieben Einheiten miteinander verbinden. Der Hauptverkehr zwischen Wohnstätten und Arbeitsplätzen sollte im südlichen Bereich an der Siedlung vorbeilaufen. Durch eine Bahnhaltestelle wurde außerdem der Anschluss an das Nahverkehrs-netz zwischen Köln und Düsseldorf sichergestellt.

Die umgesetzte Planung.

Bei der tatsächlichen Planung Chorweilers wurde das Konzept der Bandstadt, mit der Industriezone am Rhein, einer Grünzone als Puffer und dem Gebiet für Wohnen, Gewerbe, Bildung, Versorgung und den tertiären Sektor,
angewandt. Absicht war es, in dem neuen Stadtteil einen Großteil der Arbeitnehmer aus dem angrenzenden Industriegebiet anzusiedeln um den Pendelverkehr in der Kölner Innenstadt und den Außenbezirken zu reduzieren.

Abb. 06 – Skizzen zur Bandstadt

Das Erschließungskonzept.

Das Verkehrskonzept sah eine Erschließung vom Rand her vor. Ziel war, die Fußgängerwege kreuzungsfrei bis in das Zentrum zu führen. Der Haupt- und Durchgangsverkehr sollte tangential geführt werden und an Knotenpunkten in die jeweiligen Stadtbezirke einmünden.6

Abb. 07 -Das Erschliessungssystem

Planungsgrundlagen.

Zu Baubeginn und auch während der Bauphase war das formulierte Ziel für Chorweiler immer, einen heterogenen Stadtteil mit einem ausgewogenen Verhältnis von Wohnen, Gewerbe und Versorgungs-einrichtungen zu schaffen.
Bei der Planung wurde dabei, charakteristisch für die 1960er und 1970er Jahre, sehr wissenschaftlich vorgegangen und mithilfe von aufwendigen Berechnungen die nötigen Folgeeinrichtungen ermittelt. Vergleichswerte wurden dabei zum Beispiel aus den Erkenntnissen des Stadtteils Vällingby bei
Stockholm ermittelt.7

Abb. 08 – Einzugsbereiche der Zentren

Bei einem Großprojekt wie Chorweiler bestand durch den Bau in einzelnen Bauabschnitten das Problem, dass die Versorgungszentren zu Beginn zu wenige Nutzer haben würden, da sie von ihrer Größe natürlich auf die endgültige Bewohneranzahl von Chorweiler ausgelegt werden sollten. So wurden zuerst kleinere Unterzentren gebaut, das große Stadtteilzentrum in Chorweiler Mitte wurde erst im letzten Bauabschnitt fertig gestellt.
Den Planern war die Problematik, nicht nur bezogen auf Nahversorgung sondern auch zum Beispiel auf ärztliche Versorgung, bewusst und es wurde bereits damals angeregt, seitens Politik und Wirtschafts-verbänden eine Ansiedlung solcher Folgeeinrichtungen
anzuregen.8

Abb. 09 – Berechnung Folgeeinrichtungen

Gestaltungsgrundlagen.

Wie fast bei allen Großsiedlungen der 1960er und 1970er Jahre war der Wunsch nach einem aufgelockerten Städtebau mit Licht, Luft und Grün für alle Bewohner oberste Priorität. Bei der Planung von Chorweiler sollten
zudem verdichtet angelegte Stadtbezirke in landschaftlich gestaltete, weite Freiräume eingebettet werden.9 Kleinteiligkeit bei der Bebauung sollte verhindert werden.

Abb. 10 – Höhenstaffelung der einzelnen Stadtbereiche

Planungskonzept war eine Höhen- und Dichtestaffelung zum Zentrum der Siedlung hin. Um ein hochverdichtetes Zentrum mit Hochhäusern gruppieren sich mittelhohe Blöcke mit Orientierung zu den Innenhöfen. In der Randzone der Siedlung positionierten die Planer niedrige Einfamilienhäuser mit Blickbezug ins Grüne. Für die Ausformulierung der Architektur gab die Stadt Köln außerdem eine Gestaltungssatzung heraus. Für die meisten Gebäudetypen wurden zudem Architektenwettbewerbe ausgerufen.

Abb. 11 – Gestaltung des Stadtgrundrisses

Mehr als nur Schlaf-Stadt?

Im Dezember 1970 gab die Stadt Köln eine Informationsbroschüre zu einem geplanten Büro-zentrum in Köln Chorweiler heraus. In diesem Prospekt wurde die finale Planung für den neuen Stadtteil mit allen wichtigen Kennzahlen vorgestellt und für Chorweiler als neues Dienstleistungszentrum geworben.
Außer dem Gebäudekomplex, in welchem sich heute das Bundesamt für Verfassungsschutz befindet, wurde diese Planung jedoch nie umgesetzt. Heute befinden sich nur wenige Bürogebäude in Köln Chorweiler

Abb. 12 – Cover Werbebroschüre
Abb. 13 – Lageplan des Gewerbestandortes westlich vom Wohngebiet

Veränderungen in der Planung.

Vor allem das Zentrum von Chorweiler wurde mehrmals umgeplant und zu Gunsten von mehr Flächengewinn immer weiter verdichtet. Waren in der Planung von 1967 nur wenige Hochhäuser vorgesehen, bestand die Bebauung in der Version von 1973 rund um das Zentrum bereits ausschliesslich aus diesen. Ein fortschreitender Verlust der Maßstäblichkeit wird sichtbar. Nachfolgend werden die einzelnen Planungsstände gezeigt.

Abb. 14 – Planunsstand 1967
Abb. 15 – Planunsstand 1973
Abb. 16 – Lageplan 1973
Abb. 17 – Bauphase von Chorweiler

Und heute?

Chorweiler als Namensgeber des Stadtbezirks liegt zentral zwischen Blumenberg, Seeberg, Volkhoven/Weiler und dem Naherholungsgebiet des Fühlinger Sees. Als größte Plattenbausiedlung in Nordrhein-Westfahlen hat Chorweiler einen zweifelhaften Ruf bei der Allgemeinheit. Dies steht jedoch im Kontrast zu der Meinung der meisten Anwohner. Das schlechte Image beruht größtenteils auf einseitig negativer Berichterstattung der Presse. Die Anwohner von Chorweiler fühlen sich in dem Stadtteil größtenteils sehr wohl und wohnen gerne dort.

Bis August 2016 standen 1.211 Wohnungen in Chorweiler jahrelang unter Zwangsverwaltung und verkamen ohne nötige Renovierungen immer weiter. Die GAG Immobilien AG übernahm 2016 diese Wohnungen und begann sofort mit einigen der nötigen Renovierungsarbeiten. Ein Quartierszentrum mit elf Servicemitarbeitern, fünf Sozial-arbeitern und zwei Streetworkern kümmert sich um die Nachbarschaft und Angebote für die Mieter der ehemals
zwangsverwalteten Wohnungen.

Abb. 18 – Kennzahlen heute

Gemeinschaftsaktionen wie die kostenlose Ausgabe von Blumenkästen für die Balkone der Hochhäuser und Graffittiaktionen für Nachwuchskünstler sind neben den Renovierungsarbeiten, die wegen der großen Anzahl von Wohnungen Jahre dauern werden, kleine Aufwertungen des Stadtteils.

Die Stadt Köln hat für die Platzaufwertung im Stadtteil 5 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Das Büro Urban Catalyst Studio aus Berlin betreute 2017 ein kooperatives Beteiligungsverfahren zur Gestaltung der öffentlichen Plätze. Außerdem sind einige kleinere Baufelder, zum Beispiel am Liverpooler- und Turkuplatz, zur Bebauung vorgesehen.

Abb. 19 – Chorweiler heute

QUELLENANGABEN
1 Vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Schwarz, Stand April 2017
2 Vgl. Schwarz, Rudolf: Das neue Köln – Ein Vorentwurf, Seite 17, Köln, 1950
3 Vgl. Schwarz, Rudolf: Das neue Köln – Ein Vorentwurf, Seite 28, Köln, 1950
4 Vgl. Schwarz, Rudolf: Das neue Köln – Ein Vorentwurf, Seite 27, Köln, 1950
5 Vgl. Kleinertz, Will und Peifer, Hermann: Außenstadt am Fühlinger See, erschienen in Schwarz, Rudolf: Das neue
Köln – Ein Vorentwurf, Seite 102, Köln, 1950
6 Vgl. Ludmann, Harald und Riedel, Joachim: Neue Stadt Köln-Chorweiler, Seite 12, Stuttgart, 1967
7 Vgl. Ludmann, Harald und Riedel, Joachim: Neue Stadt Köln-Chorweiler, Seite 82, Stuttgart, 1967
8 Vgl. Ludmann, Harald und Riedel, Joachim:Neue Stadt Köln-Chorweiler, Seite 43, Stuttgart, 1967
9 Vgl. Ludmann, Harald und Riedel, Joachim: Neue Stadt Köln-Chorweiler, Seite 45, Stuttgart, 1967

ABBILDUNGSVERZEICHNIS
Abb. 01-11 Schwarz, Rudolf: “Das neue Köln – Ein Vorentwurf, Köln, 1950
Abb. 12-13 „Bürozentrum Chorweiler in Köln“, Hochbaudezernat Köln, 1979
Abb. 14 Schwarz, Rudolf: “Das neue Köln – Ein Vorentwurf, Köln, 1950
Abb. 15 Neue Heimat: Hauptzentrum Köln- Chorweiler, Köln, 1973
Abb. 16 „Köln Chorweiler“, Stadtplanungsamt Köln, 1975
Abb. 17 www.chorweiler-panorama.de, Stand Juni 2017
Abb. 18-19 CHCC-Kollektiv