Am 02.02.2023 waren wir beim Roundabout e.V. an der TU Berlin eingeladen um über unsere Arbeit und unsere Haltung zur aktuellen Situation in unserer Branche zu sprechen. Den Vortrag haben wir hier als Text zusammen gefasst.
*Dieser Slogan war der Gewinner bei einem Wettbewerb der Architektur Fakultät am KIT und wir fanden ihn sehr passend wegen seinem pragmatischen Optimismus.
Unser Blick auf den Status Quo der Architekturbranche.
Ein großer Teil unserer Arbeit bei CHCC basiert auf Erfahrungen, welche wir in klassischen Architekturbüros gesammelt haben. Diese Erfahrungen schärfen unseren Blick für das, was in der Branche schief läuft. Dies sind zum Beispiel Bauprojekte, die aufgrund fehlenden politischen Willens von Investoren auf eine Weise umgesetzt werden, dass soziale und strukturelle Nachhaltigkeit zugunsten der größten Gewinnmarge auf der Strecke bleiben. Aber auch unser Arbeitsalltag, welcher durch Diskriminierung, Ausbeutung und schlechte Bezahlung belastet wird, beschäftigt uns.
Aber anstatt uns nur zu beschweren wollen wir die Probleme benennen und konkrete Lösungen finden. Um diese zu identifizieren, betrachten wir die Branche sowohl von innen als auch von außen.
Ist Architektur belanglos geworden?
Ein externer Blick auf die Architekturbranche.
Die Themen, die öffentlich diskutiert werden, sind nicht die Themen die diskutiert werden sollten. Überhaupt wird Architektur in der Gesamtgesellschaft relativ wenig besprochen. In der breiten Presse landen nur wirkliche “Skandalprojekte” wie der BER, oder Megaprojekte wie zuletzt die “Stadt der Zukunft” Neom in Saudi Arabien. Selbst in Fachzeitschriften beschäftigt man sich scheinbar ungern mit den Problemen und unbequemen Aspekten der Branche.
Unser Artikel „Das Ende des Commoning?“ im LAMA Magazin beleuchtet die Belanglosigkeit der Branche im Hinblick auf die Covid-Pandemie. Die Welt bleibt stehen und in kurzer Zeit werden wir mit einer Reihe von Lösungsvorschlägen für die vermeintlichen “Probleme” des Lockdowns konfrontiert. Die Vielzahl an Wettbewerben und Entwürfen, die bereits kurz nach Beginn der Pandemie veröffentlicht wurden, waren ein perfektes Beispiel für das „Bauen in der Blase“.
Statt sich mit der langfristigen Bedeutung einer weltweiten Pandemie auf unsere Gesellschaft zu beschäftigen, wurde das perfekte Homeoffice, der schickste Schutzanzug oder das Neudenken von Büros anhand der herrschenden Kontaktverbote proklamiert. Diese Entwürfe bewegen sich meist nur innerhalb der Architekturprofession und besitzen eine gewisse Oberflächlichkeit.
Design kann alle unsere Probleme lösen, egal ob Pandemie oder Klimawandel – so die Grundaussage.
Mittlerweile wissen wir, dass der Lockdown und die Isolation langfristigere negative Auswirkungen auf die Gesellschaft, den öffentlichen Raum und unser Zusammenleben hat, die sich nicht mit schnell designten Glasglocken oder Ähnlichem lösen lassen. Die Branche muss sich Aufgaben widmen, die eine größere Bearbeitungstiefe verlangen.
Wir fragen uns: Fällt uns Architekturschaffenden in der Krise nichts ein außer unreflektierte Reaktionen? Wieso gibt man sich dieser Belanglosigkeit hin, statt sich zu fragen: für welches Leben und welches Szenario wollen wir planen?
Die Architekturkritikerin Kate Wagner prägte in der Diskussion um die Entwürfe zur Überwindung der Pandemie den Begriff „Coronagrifting“ und “PR-chitecture“. Sie meint damit Architektur als ein Produkt des Internetzeitalters mit kurzen Aufmerksamkeitsspannen und dem ständigen, unkritischen Drang nach Neuem. Glossy Computer-Renderings werden auf den gängigen Plattformen mit Aufmerksamkeit, Klicks und Likes belohnt, welche aufstrebende und kritische Planer*innen nicht zuteil werden. Und auch wenn die AutorInnen es gerne anders verkaufen: Vielversprechende Renderings und verlockende Schlagworte sind weder politisch, aktivistisch noch mutig. In einem Artikel mit dem Titel „No, ‚PR-chitecture‘ won’t save us from the pandemic“ formuliert es Kate Wagner so: „Die meiste Zeit führt PR-Architektur zu Enttäuschungen. Leider kann Obdachlosigkeit, ein soziales und politisches Problem, nicht mit 3D-gedruckten kleinen Häusern gelöst werden. Traurigerweise können glitzernde Modelle von Wohngemeinschaften die generationen- und einkommensbedingten Ungleichheiten beim Wohnen, ein soziales und politisches Problem, nicht lösen. Leider werden glänzende Renderings von schwimmenden Städten mit Solarzellen, die von einem ehemaligen Startup des MIT Media Lab gesponsert werden, die Auswirkungen des Klimawandels, ein soziales und politisches Problem, nicht lösen oder abschwächen.“
Realität ist: Bauen, und mit der Architektur im besten Fall noch soziale Veränderungen herbeizuführen, ist unglaublich schwer. Die Realisierung eines Gebäudes setzt dieses der ästhetischen und sozialen Kritik der Gesellschaft aus. Durch Umsetzung wird Architektur real und zementiert die Komplizenschaft mit dem ausbeuterischen, kapitalistischen System welches die Produktion von Raum erst ermöglicht. Im Vergleich dazu ist es einfach, Bilder zu produzieren. Es ist billig und erfordert keine Änderungen in den eigenen Praktiken eines Unternehmens oder gar ein Nachdenken darüber. Man muss sich weder mit der Realität, den Herausforderungen der sich verändernden Gesellschaft noch mit den Konsequenzen des Erbauten auseinandersetzen. Doch es bleibt fraglich, ob man so die Welt verändern kann.
In Deutschland sind Architektur und Bauwesen zwar allgegenwärtig, aber die ArchitektInnen selbst spielen keine Rolle in der Diskussion um drängende Fragen wie Wohnungsnot oder Nachhaltigkeit. Ein Bauministerium gibt es erst wieder seit Kurzem, das macht deutlich wo die Prioritäten in Deutschland liegen. Auch hat die Politik sich seit Jahrzehnten auf Investoren und private Akteure verlassen, ohne selbst zu handeln. Fakt ist: Wir als ArchitektInnen sind seit jeher Komplizen und Dienstleister dieser Politik und des ausbeuterischen, kapitalistischen Systems, das die Produktion von Raum ermöglicht.
Was muss also passieren, um unserer Profession eine nachhaltige Bedeutung in der heutigen Gesellschaft zurückzugeben?
Wir glauben, dass die junge Generation von Architekturschaffenden bereits viel kritischer und politischer eingestellt ist als ihre VorgängerInnen. Doch statt zu versprechen, dass junge ArchitektInnen die Welt ändern werden, muss man dafür sorgen, dass sie das auch können. Die Architekturbüros sind das schwächste Glied in der Reihe der Akteure der Baubranche. Sie sind abhängig von Politik und AuftraggeberInnen, gleichzeitig betreiben sie wenig Lobbyarbeit für ihre Zwecke. Die EntwicklerInnen und InvestorInnen haben vorrangig Gewinn und Terminpläne im Fokus. Veränderung zu mehr ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit kann jedoch nur von ihrer Seite kommen. Da der Markt aber erwiesenermaßen doch nicht regelt benötigt es Vorgaben und Zwang durch die Politik und Gesetzgebung. Neuen Gesetzen steht auch die Komplexität der unterschiedlichen Instanzen im Weg, von europäischer Politik bis hin zu den einzelnen Bundesländern: bis Gesetze erlassen und umgesetzt werden, sprechen viele mit.
Wir befinden uns in einem globalen Veränderungsprozess, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich und ökologisch. Unserer Meinung nach reagiert die Architekturbranche viel zu träge auf diese Veränderungen, insbesondere aufgrund ihrer engen Verflechtung mit Politik und Kapital. Wir wünschen uns mehr Tiefe im öffentlichen Diskurs, auch um diese Probleme gemeinsam zu lösen anstatt uns innerhalb der Blase gegenseitig zuzusichern das alles super ist!
Von der anderen Seite sieht´s nicht besser aus – die prekären Zustände innerhalb der Architekturbranche.
Studium, Lohnarbeit, politische Vertretung
Die Ära der Star-Architekten der 90er Jahre neigt sich dem Ende zu, die Einstellung zum non-kontextuellen Entwerfen in einer neoliberalen Welt wird jedoch noch an zu vielen Architekturlehrstühlen an die Studierenden vermittelt. An einer Hochschule wird man für die Arbeit im kapitalistischen System ausgebildet und muss sich im klaren darüber sein, dass weiße, überwiegend männliche, europäische und neoliberale Lehrende, die Teil des kapitalistischen Systems sind, auch nur weiße, meist männliche, eurozentrische und neoliberale Perspektiven vermitteln, die in dieses kapitalistische System passen.
Wie in unserem Artikel “Verantwortung übernehmen” für das LAMA Magazin ausführlich beleuchtet, argumentieren wir für eine kritischere Auseinandersetzung mit der Realität in der Architekturlehre. Bisher bestimmt das Entwurfsstudio jedes Semester und Aufgaben wirken oft wie aus der Zeit gefallen: Wie oft wird jeder von uns wohl in seiner Karriere ein Museum oder ein Opernhaus entwerfen? Auf die gebaute Umwelt wird nicht eingegangen bzw. direkt ein Ort für den Entwurf gewählt, der sich für einen Solitärbau anbietet. Sozialer Impact? Ressourcenverbrauch? Unwichtig – Hauptsache die Renderings in der Endpräsentation sehen später gut aus. Nebenfächer, für erfolgreich gemeisterte Bauaufgabe in der Realität relevanter als jedes Studio, werden “nebenher” belegt. Natürlich kann man argumentieren: „Wenn nicht im Studium – wann dann frei entwerfen?“
Jedoch wird die Studienzeit immer kürzer und immer schneller werden junge ArchitektInnen in die freie Marktwirtschaft entlassen. Sprich: die Zeit im Studium ist kurz – und wenn nicht dort, wo soll die neue Generation auf die Realität vorbereitet werden? Und diese Realität unterscheidet sich gewaltig von dem, was man in zehn Semestern an den Hochschulen im deutschsprachigen Raum lernt. Uns stehen andere Aufgaben gegenüber als unseren VorgängerInnen – sei es die massive Wohnungsnot und die Verschärfung der Klassenunterschiede in den Großstädten oder globale Zusammenhänge wie Ressourcenknappheit und Klimawandel. Der Neubau wird weniger werden, dagegen gewinnen intelligente Lösungen für Umbau und Sanierungen an Bedeutung. Auch rückt neben der ökologischen auch die soziale Nachhaltigkeit endlich mehr in den Fokus. Themen, mit denen sich die Lehre beschäftigen könnte, gibt es also genug. Außerdem zeigen Umfragen an Hochschulen, dass das Bewusstsein und Interesse für Themen wie Nachhaltigkeit, Sanierung und Bauen im Bestand da ist. Für die jüngere Architektengeneration liegt der Gipfel der Kreativität nicht mehr darin, möglichst außergewöhnlich geformte Bürotürme, Museen oder Opernhäuser zu bauen, die mit aufregenden Fassaden verkleidet sind.
Es wird immer deutlicher, dass der Beruf des klassischen Architekten/Architektin im Begriff ist, überflüssig zu werden, sollte sich die Disziplin nicht verändern. Das liegt auch daran, dass unsere Arbeit immer spezialisierter wird. Beispiele hierfür sind unter anderem, dass Zeichen-Arbeit mehr und mehr von Computerprogrammen übernommen und weniger PlanerInnen nötig macht. Auch erfolgt die Ausführung von Bauten immer öfter durch Generalunternehmer und ArchitektInnen arbeiten häufiger ihr gesamtes Arbeitsleben in wenigen Leistungsphasen.
Ohne Veränderung in der Lehre sind das Ergebnis unzufriedene AbsolventInnen, die in den reformbedürftigen Studienprogrammen nicht die theoretische und praktische Expertise für die zukünftige Rolle der Architektur finden. Zusätzlich werden zu wenig Alternativen zum Berufsbild des “klassischen Architekten” aufgezeigt. Und im schlimmsten Fall reproduzieren junge ArchitektInnen die überholten Muster der Lehrenden, wenn sie mit einer völlig unrealistischen Vorstellung des Alltags in einem Architekturbüro beginnen.
Studierende bekommen schon im Studium eingetrichtert, dass nur mit Blut, Schweiß und Tränen gute Architektur erschaffen werden kann.
Nachtschichten und Arbeiten bis zur kompletten Erschöpfung werden gefeiert und anerkannt. Überstunden, Wochenendarbeit, niedrige Löhne – Probleme des neoliberalen Systems, welches bis heute Realität in vielen Büros ist – wird an Hochschulen stilisiert und gehuldigt. Diese Praxis bildet eine perfekte Grundlage für leicht ausbeutbaren AbsolventInnen-Nachschub für die Büros. Wer dann lange genug durchhält, hat diese Muster meist soweit internalisiert, dass diese nicht reflektiert und an die nächste Generation weitergegeben werden. Schlechte Arbeitsbedingungen werden als unumstößliche Wahrheit akzeptiert und nicht weiter hinterfragt oder verändert. Ein Teufelskreis.
Dabei hat Branche sich verändert: das Bild vom leidenschaftlichen Künstlertyp, vom Baumeister, der alles für seine Kunst opfert, existiert in der Branche kaum noch. Viele Köpfe sorgen dafür, dass der Entwurf zur Realität wird, neben großen Teams aus ArchitektInnen und FachplanerInnen sind auch HandwerkerInnen, BauarbeiterInnen und andere involviert.
Für kleine Büros mag die ewige Geschichte von Aufopferung und schlechter Projektlage vielleicht noch stimmen, aber große Büros bezahlen trotzdem schlecht und profitieren von dieser Narrative. Eine von uns durchgeführte Umfrage hat ergeben: gut zwei Drittel der TeilnehmerInnen sind in Büro’s mit mehr als zehn Personen tätig. ArchitektInnen arbeiten also viel häufiger als gedacht angestellt in Büros und sind in ihrer Bezahlung, ihrem Arbeitsort und ihrem Arbeitspensum abhängig von BüroinhaberInnen.
Auch ist in den klassischen Planungsbüros die Bezahlung im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft oder dem öffentlichen Dienst am Schlechtesten. Tatsache ist, dass viele ArchitektInnen nicht zu weit von prekären Arbeitsverhältnissen entfernt sind. Obwohl „prekär“ ein drastisches Wort ist – unter „prekärer Arbeit“ oder „prekärer Beschäftigung“ versteht man in der Regel Beschäftigungsverhältnisse, die besonders geringen Lohn, keine soziale Absicherung und eine ungewisse Zukunft für den Beschäftigten mit sich bringen. Dazu zählen unter anderem befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, „Minijobs“ und Scheinselbstständigkeit.
Doch warum tun wir nichts dagegen? Schuld daran ist das Selbstbild, welches wir schon als Student*innen indoktriniert bekommen.
Kate Wagner schreibt dazu passend im Architects Newspaper: “Und doch sehen sich ArchitektInnen nicht als ArbeiterInnen. Sie sehen sich als vorübergehend benachteiligte Kreative, die sich irgendwie von den BauarbeiterInnen unterscheiden, die ihre Zeichnungen in die Realität umsetzen. Wenn ArchitektInnen beginnen, sich als ArbeiterInnen zu verstehen, eröffnen sie sich eine breite Palette politischer Möglichkeiten, die das Potenzial haben, die Praxis und das Gesicht der Architektur zu verändern – nicht als einzelne Genies, sondern als kollektive, organisierte politische Akteure.”
Solange das Bild des vorübergehend benachteiligter Künstlers, welcher nur hart genug arbeiten und leiden muss um endlich Erfolg, Geld und Ruhm zu erringen, sich so fest in unser aller Köpfen hält, solange können wir nicht begreifen, dass wir genauso LohnarbeiterInnen sind, wie die Menschen, welche unter noch viel prekäreren Umständen unsere Entwürfe auf der Baustelle umsetzen. Wenn wir diese Tatsache akzeptieren, ist der Schritt zur gewerkschaftlichen Organisation nicht mehr weit und eröffnet reale Möglichkeiten, den Status Quo der Architekturbranche zu ändern. Und zwar nicht als einzelnes Individuum, sondern als politisch organisierte Gruppe. Die meisten (jungen) ArchitektInnen arbeiten in großen Büros mit Projekten von fragwürdigen AuftraggeberInnen und haben wenig bis gar kein Mitspracherecht im Entwurfsprozess, was ihnen das Gefühl der Bedeutungslosigkeit gibt. Doch gerade die Organisation der Beschäftigten, der Aktivismus und die gewerkschaftliche Organisierung bieten die Möglichkeit, die Dinge in größeren Büros in großem Umfang zu verändern. Denn nur wenn sich die großen Akteure in der Branche ändern, kann sich die gesamte Branche ändern.
Wagen sich PlanerInnen dann aus der abhängigen Beschäftigung heraus, was für alle die weder eine reiche Familie, Freunde und Verwandte die einem Bauaufgaben zuschustern oder einen gutverdienenden Ehepartner haben relativ schwierig ist, fallen diese dann oft zurück in die seit dem Studium eingetrichterten neoliberalen Muster. Sobald aus den LohnarbeiterInnen dann UnternehmerInnen werden, ist mit fairen Gehältern und sozial nachhaltigen Arbeitsbedingungen dann nicht mehr viel her, denn sie sind jetzt ja ebenfalls Teil des kapitalistischen Systems. Dabei sind genau diese Personen, die in die Position der EntscheiderIn rücken, dazu in der Lage den Teufelskreis durchbrechen zu können. Neue Chefs hätten alle Möglichkeiten unsere Arbeitswelt neu zu gestalten, nicht nur in der Architekturbranche.
Aber mal abgesehen von der Selbstorganisation – wer ist denn eigentlich unsere Stimme und Vertretung in der Politik?
Die Kammern der einzelnen Bundesländer und die Bundesarchitektenkammer sind unsere VertreterInnen in der der Politik. Wenn man sich das Profil des Vorstands und der Vertretung anschaut, ergibt sich ein relativ homogenes Bild: überwiegend FreiberuflerInnen oder InhaberInnen von Büros, was natürlich Sinn macht: Sie haben ein Interesse daran, Lobbyarbeit für ihre eigenen Bedürfnisse zu betreiben, sind entsprechend mehr in den entscheidenden Positionen zu finden. Sie haben außerdem mehr zeitliche Flexibilität sich ehrenamtlich zu engagieren.
Aus dem Jahresbericht 20/21 der Bundesarchitektenkammer geht hervor, dass die Zahl der freischaffenden Kammermitglieder in den letzten drei Jahren sogar gesunken ist, die Zahl der angestellten Mitglieder stieg jedoch signifikant. Warum gibt es also kaum Angebote und Support für diesen Großteil der Mitglieder? Sieht man sich die Themen des Jahresberichts an, zeichnen diese ein klares Bild der Interessen. Freiberuflichkeit, Mittelstand, Globalisierung – alles Themen, die für angestellte ArchitektInnen wahrscheinlich eher wenig Relevanz haben.
Können die Kammern die Vertretung der ArbeitnehmerInnen überhaupt realistisch übernehmen und sinnvoll in ihre Organisation eingliedern? Besteht dabei nicht die Gefahr, dass es zu Interessenskonflikten innerhalb der Kammer kommt? Zwar unterstützt die Kammer ihre angestellten Mitglieder durch Rechtsberatung und kann Kammermitglieder bei rechtlichen Verstößen ahnden und in Folge ihre Mitgliedschaft beenden, also de facto deren weitere Berufsausübung deutlich erschweren. Aber hat der Großteil der aktiven Kammermitglieder überhaupt ein berechtigtes Interesse an Arbeitnehmerrechten?
Sieht alles ziemlich düster aus – wo soll man denn da anfangen?
Ganz schön viele Probleme, oder? Auch wir fühlen uns oft extrem hilflos und haben leider nicht den Masterplan zur Rettung unserer Branche in der Tasche. Viele Ursachen sind zudem in Strukturen zu finden, die weit außerhalb unseres Bereichs liegen. Trotzdem gibt es Dinge die wir tun können.
Bereits StudentInnen können sich politisch engagieren und mit der Arbeit in Fachschaften und Gremien ihren Hochschulalltag aktiv mitgestalten. In Lohnarbeit angestellte ArchitektInnen können durch Solidarität untereinander bereits einiges bewegen, beispielsweise offen über Gehälter sprechen. Zudem besteht bereits ab einer Anzahl von fünf volljährigen Beschäftigten im Betrieb das Recht auf Gründung eines Betriebsrates, um aktiv und kollektiv über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln zu können (wer dazu mehr wissen will: beispielsweise informiert die IG Metall hier ausführlich). Wer zusätzliche Kapazitäten, hat kann sich aktiv an der Arbeit in den Architektenkammern beteiligen, um auch die Stimme der angestellten ArchitektInnen in der Politik zu verschaffen. Auch selbst die Wahl der Kammervertretung ist ein wichtiger Schritt der Beteiligung, der nicht viel Zeit kostet.
Es gibt viel zu tun aber der Wandel ist möglich und unausweichlich, denn der Luxus der Wahlmöglichkeit steht euch und uns nicht mehr zur Verfügung: Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit müssen trotzdem gefunden werden.
Eine Veränderung passiert nicht durch die unkritische Anpassung an den Status Quo: werdet unbequem! Politisch Position beziehen und eine eigene Haltung entwickeln ist eine der wichtigsten Aufgaben. Lest! Informiert euch! Hinterfragt! Diskutiert! …und bleibt kritisch! Wir bleiben ebenfalls dran!
Wir sind Mitgründerinnen von aaaa, der Anti Architecture Architecture Association. Dort pflegen wir den niedrigschwelligen Austausch bezüglich Arbeitsbedingungen, Bezahlung und andere branchenspezifischen Themen. Besucht uns auf Instagramund macht mit!
Am 02.02.2023 waren wir beim Roundabout e.V. an der TU Berlin eingeladen um über unsere Arbeit und unsere Haltung zur aktuellen Situation in unserer Branche zu sprechen. Den Vortrag haben wir hier als Text zusammen gefasst.
*Dieser Slogan war der Gewinner bei einem Wettbewerb der Architektur Fakultät am KIT und wir fanden ihn sehr passend wegen seinem pragmatischen Optimismus.
Unser Blick auf den Status Quo der Architekturbranche.
Ein großer Teil unserer Arbeit bei CHCC basiert auf Erfahrungen, welche wir in klassischen Architekturbüros gesammelt haben. Diese Erfahrungen schärfen unseren Blick für das, was in der Branche schief läuft. Dies sind zum Beispiel Bauprojekte, die aufgrund fehlenden politischen Willens von Investoren auf eine Weise umgesetzt werden, dass soziale und strukturelle Nachhaltigkeit zugunsten der größten Gewinnmarge auf der Strecke bleiben. Aber auch unser Arbeitsalltag, welcher durch Diskriminierung, Ausbeutung und schlechte Bezahlung belastet wird, beschäftigt uns.
Aber anstatt uns nur zu beschweren wollen wir die Probleme benennen und konkrete Lösungen finden. Um diese zu identifizieren, betrachten wir die Branche sowohl von innen als auch von außen.
Die Themen, die öffentlich diskutiert werden, sind nicht die Themen die diskutiert werden sollten. Überhaupt wird Architektur in der Gesamtgesellschaft relativ wenig besprochen. In der breiten Presse landen nur wirkliche “Skandalprojekte” wie der BER, oder Megaprojekte wie zuletzt die “Stadt der Zukunft” Neom in Saudi Arabien. Selbst in Fachzeitschriften beschäftigt man sich scheinbar ungern mit den Problemen und unbequemen Aspekten der Branche.
Unser Artikel „Das Ende des Commoning?“ im LAMA Magazin beleuchtet die Belanglosigkeit der Branche im Hinblick auf die Covid-Pandemie. Die Welt bleibt stehen und in kurzer Zeit werden wir mit einer Reihe von Lösungsvorschlägen für die vermeintlichen “Probleme” des Lockdowns konfrontiert. Die Vielzahl an Wettbewerben und Entwürfen, die bereits kurz nach Beginn der Pandemie veröffentlicht wurden, waren ein perfektes Beispiel für das „Bauen in der Blase“.
Statt sich mit der langfristigen Bedeutung einer weltweiten Pandemie auf unsere Gesellschaft zu beschäftigen, wurde das perfekte Homeoffice, der schickste Schutzanzug oder das Neudenken von Büros anhand der herrschenden Kontaktverbote proklamiert. Diese Entwürfe bewegen sich meist nur innerhalb der Architekturprofession und besitzen eine gewisse Oberflächlichkeit.
Mittlerweile wissen wir, dass der Lockdown und die Isolation langfristigere negative Auswirkungen auf die Gesellschaft, den öffentlichen Raum und unser Zusammenleben hat, die sich nicht mit schnell designten Glasglocken oder Ähnlichem lösen lassen. Die Branche muss sich Aufgaben widmen, die eine größere Bearbeitungstiefe verlangen.
Wir fragen uns: Fällt uns Architekturschaffenden in der Krise nichts ein außer unreflektierte Reaktionen? Wieso gibt man sich dieser Belanglosigkeit hin, statt sich zu fragen: für welches Leben und welches Szenario wollen wir planen?
Die Architekturkritikerin Kate Wagner prägte in der Diskussion um die Entwürfe zur Überwindung der Pandemie den Begriff „Coronagrifting“ und “PR-chitecture“. Sie meint damit Architektur als ein Produkt des Internetzeitalters mit kurzen Aufmerksamkeitsspannen und dem ständigen, unkritischen Drang nach Neuem. Glossy Computer-Renderings werden auf den gängigen Plattformen mit Aufmerksamkeit, Klicks und Likes belohnt, welche aufstrebende und kritische Planer*innen nicht zuteil werden. Und auch wenn die AutorInnen es gerne anders verkaufen: Vielversprechende Renderings und verlockende Schlagworte sind weder politisch, aktivistisch noch mutig.
In einem Artikel mit dem Titel „No, ‚PR-chitecture‘ won’t save us from the pandemic“ formuliert es Kate Wagner so: „Die meiste Zeit führt PR-Architektur zu Enttäuschungen. Leider kann Obdachlosigkeit, ein soziales und politisches Problem, nicht mit 3D-gedruckten kleinen Häusern gelöst werden. Traurigerweise können glitzernde Modelle von Wohngemeinschaften die generationen- und einkommensbedingten Ungleichheiten beim Wohnen, ein soziales und politisches Problem, nicht lösen. Leider werden glänzende Renderings von schwimmenden Städten mit Solarzellen, die von einem ehemaligen Startup des MIT Media Lab gesponsert werden, die Auswirkungen des Klimawandels, ein soziales und politisches Problem, nicht lösen oder abschwächen.“
Es lässt sich sagen, dass PR-chitecture die dunkelste Motivation der Architektur verstärkt: die heldenartige Verehrung weniger Akteure, der Glaube an die Technokratie und elitäres Denken. Da ist es in den Augen von Bjarke Ingels auch nicht widersprüchlich, sich mit dem brasilianischen Regierungschef Bolsonaro, einem Leugner des Klimawandels, an einen Tisch zu setzen und dann gleichzeitig einen überheblichen Plan für die Rettung des Weltklimas zu veröffentlichen.
Realität ist: Bauen, und mit der Architektur im besten Fall noch soziale Veränderungen herbeizuführen, ist unglaublich schwer. Die Realisierung eines Gebäudes setzt dieses der ästhetischen und sozialen Kritik der Gesellschaft aus. Durch Umsetzung wird Architektur real und zementiert die Komplizenschaft mit dem ausbeuterischen, kapitalistischen System welches die Produktion von Raum erst ermöglicht. Im Vergleich dazu ist es einfach, Bilder zu produzieren. Es ist billig und erfordert keine Änderungen in den eigenen Praktiken eines Unternehmens oder gar ein Nachdenken darüber. Man muss sich weder mit der Realität, den Herausforderungen der sich verändernden Gesellschaft noch mit den Konsequenzen des Erbauten auseinandersetzen. Doch es bleibt fraglich, ob man so die Welt verändern kann.
In Deutschland sind Architektur und Bauwesen zwar allgegenwärtig, aber die ArchitektInnen selbst spielen keine Rolle in der Diskussion um drängende Fragen wie Wohnungsnot oder Nachhaltigkeit. Ein Bauministerium gibt es erst wieder seit Kurzem, das macht deutlich wo die Prioritäten in Deutschland liegen. Auch hat die Politik sich seit Jahrzehnten auf Investoren und private Akteure verlassen, ohne selbst zu handeln. Fakt ist: Wir als ArchitektInnen sind seit jeher Komplizen und Dienstleister dieser Politik und des ausbeuterischen, kapitalistischen Systems, das die Produktion von Raum ermöglicht.
Was muss also passieren, um unserer Profession eine nachhaltige Bedeutung in der heutigen Gesellschaft zurückzugeben?
Wir glauben, dass die junge Generation von Architekturschaffenden bereits viel kritischer und politischer eingestellt ist als ihre VorgängerInnen. Doch statt zu versprechen, dass junge ArchitektInnen die Welt ändern werden, muss man dafür sorgen, dass sie das auch können. Die Architekturbüros sind das schwächste Glied in der Reihe der Akteure der Baubranche. Sie sind abhängig von Politik und AuftraggeberInnen, gleichzeitig betreiben sie wenig Lobbyarbeit für ihre Zwecke. Die EntwicklerInnen und InvestorInnen haben vorrangig Gewinn und Terminpläne im Fokus. Veränderung zu mehr ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit kann jedoch nur von ihrer Seite kommen. Da der Markt aber erwiesenermaßen doch nicht regelt benötigt es Vorgaben und Zwang durch die Politik und Gesetzgebung. Neuen Gesetzen steht auch die Komplexität der unterschiedlichen Instanzen im Weg, von europäischer Politik bis hin zu den einzelnen Bundesländern: bis Gesetze erlassen und umgesetzt werden, sprechen viele mit.
Wir befinden uns in einem globalen Veränderungsprozess, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich und ökologisch. Unserer Meinung nach reagiert die Architekturbranche viel zu träge auf diese Veränderungen, insbesondere aufgrund ihrer engen Verflechtung mit Politik und Kapital. Wir wünschen uns mehr Tiefe im öffentlichen Diskurs, auch um diese Probleme gemeinsam zu lösen anstatt uns innerhalb der Blase gegenseitig zuzusichern das alles super ist!
Die Ära der Star-Architekten der 90er Jahre neigt sich dem Ende zu, die Einstellung zum non-kontextuellen Entwerfen in einer neoliberalen Welt wird jedoch noch an zu vielen Architekturlehrstühlen an die Studierenden vermittelt. An einer Hochschule wird man für die Arbeit im kapitalistischen System ausgebildet und muss sich im klaren darüber sein, dass weiße, überwiegend männliche, europäische und neoliberale Lehrende, die Teil des kapitalistischen Systems sind, auch nur weiße, meist männliche, eurozentrische und neoliberale Perspektiven vermitteln, die in dieses kapitalistische System passen.
Wie in unserem Artikel “Verantwortung übernehmen” für das LAMA Magazin ausführlich beleuchtet, argumentieren wir für eine kritischere Auseinandersetzung mit der Realität in der Architekturlehre. Bisher bestimmt das Entwurfsstudio jedes Semester und Aufgaben wirken oft wie aus der Zeit gefallen: Wie oft wird jeder von uns wohl in seiner Karriere ein Museum oder ein Opernhaus entwerfen? Auf die gebaute Umwelt wird nicht eingegangen bzw. direkt ein Ort für den Entwurf gewählt, der sich für einen Solitärbau anbietet. Sozialer Impact? Ressourcenverbrauch? Unwichtig – Hauptsache die Renderings in der Endpräsentation sehen später gut aus. Nebenfächer, für erfolgreich gemeisterte Bauaufgabe in der Realität relevanter als jedes Studio, werden “nebenher” belegt. Natürlich kann man argumentieren: „Wenn nicht im Studium – wann dann frei entwerfen?“
Jedoch wird die Studienzeit immer kürzer und immer schneller werden junge ArchitektInnen in die freie Marktwirtschaft entlassen. Sprich: die Zeit im Studium ist kurz – und wenn nicht dort, wo soll die neue Generation auf die Realität vorbereitet werden? Und diese Realität unterscheidet sich gewaltig von dem, was man in zehn Semestern an den Hochschulen im deutschsprachigen Raum lernt. Uns stehen andere Aufgaben gegenüber als unseren VorgängerInnen – sei es die massive Wohnungsnot und die Verschärfung der Klassenunterschiede in den Großstädten oder globale Zusammenhänge wie Ressourcenknappheit und Klimawandel. Der Neubau wird weniger werden, dagegen gewinnen intelligente Lösungen für Umbau und Sanierungen an Bedeutung. Auch rückt neben der ökologischen auch die soziale Nachhaltigkeit endlich mehr in den Fokus. Themen, mit denen sich die Lehre beschäftigen könnte, gibt es also genug. Außerdem zeigen Umfragen an Hochschulen, dass das Bewusstsein und Interesse für Themen wie Nachhaltigkeit, Sanierung und Bauen im Bestand da ist. Für die jüngere Architektengeneration liegt der Gipfel der Kreativität nicht mehr darin, möglichst außergewöhnlich geformte Bürotürme, Museen oder Opernhäuser zu bauen, die mit aufregenden Fassaden verkleidet sind.
Es wird immer deutlicher, dass der Beruf des klassischen Architekten/Architektin im Begriff ist, überflüssig zu werden, sollte sich die Disziplin nicht verändern. Das liegt auch daran, dass unsere Arbeit immer spezialisierter wird. Beispiele hierfür sind unter anderem, dass Zeichen-Arbeit mehr und mehr von Computerprogrammen übernommen und weniger PlanerInnen nötig macht. Auch erfolgt die Ausführung von Bauten immer öfter durch Generalunternehmer und ArchitektInnen arbeiten häufiger ihr gesamtes Arbeitsleben in wenigen Leistungsphasen.
Ohne Veränderung in der Lehre sind das Ergebnis unzufriedene AbsolventInnen, die in den reformbedürftigen Studienprogrammen nicht die theoretische und praktische Expertise für die zukünftige Rolle der Architektur finden. Zusätzlich werden zu wenig Alternativen zum Berufsbild des “klassischen Architekten” aufgezeigt. Und im schlimmsten Fall reproduzieren junge ArchitektInnen die überholten Muster der Lehrenden, wenn sie mit einer völlig unrealistischen Vorstellung des Alltags in einem Architekturbüro beginnen.
Nachtschichten und Arbeiten bis zur kompletten Erschöpfung werden gefeiert und anerkannt. Überstunden, Wochenendarbeit, niedrige Löhne – Probleme des neoliberalen Systems, welches bis heute Realität in vielen Büros ist – wird an Hochschulen stilisiert und gehuldigt. Diese Praxis bildet eine perfekte Grundlage für leicht ausbeutbaren AbsolventInnen-Nachschub für die Büros. Wer dann lange genug durchhält, hat diese Muster meist soweit internalisiert, dass diese nicht reflektiert und an die nächste Generation weitergegeben werden. Schlechte Arbeitsbedingungen werden als unumstößliche Wahrheit akzeptiert und nicht weiter hinterfragt oder verändert. Ein Teufelskreis.
Dabei hat Branche sich verändert: das Bild vom leidenschaftlichen Künstlertyp, vom Baumeister, der alles für seine Kunst opfert, existiert in der Branche kaum noch. Viele Köpfe sorgen dafür, dass der Entwurf zur Realität wird, neben großen Teams aus ArchitektInnen und FachplanerInnen sind auch HandwerkerInnen, BauarbeiterInnen und andere involviert.
Für kleine Büros mag die ewige Geschichte von Aufopferung und schlechter Projektlage vielleicht noch stimmen, aber große Büros bezahlen trotzdem schlecht und profitieren von dieser Narrative. Eine von uns durchgeführte Umfrage hat ergeben: gut zwei Drittel der TeilnehmerInnen sind in Büro’s mit mehr als zehn Personen tätig. ArchitektInnen arbeiten also viel häufiger als gedacht angestellt in Büros und sind in ihrer Bezahlung, ihrem Arbeitsort und ihrem Arbeitspensum abhängig von BüroinhaberInnen.
Auch ist in den klassischen Planungsbüros die Bezahlung im Vergleich zur gewerblichen Wirtschaft oder dem öffentlichen Dienst am Schlechtesten. Tatsache ist, dass viele ArchitektInnen nicht zu weit von prekären Arbeitsverhältnissen entfernt sind. Obwohl „prekär“ ein drastisches Wort ist – unter „prekärer Arbeit“ oder „prekärer Beschäftigung“ versteht man in der Regel Beschäftigungsverhältnisse, die besonders geringen Lohn, keine soziale Absicherung und eine ungewisse Zukunft für den Beschäftigten mit sich bringen. Dazu zählen unter anderem befristete Arbeitsverhältnisse, Leiharbeit, „Minijobs“ und Scheinselbstständigkeit.
Kate Wagner schreibt dazu passend im Architects Newspaper: “Und doch sehen sich ArchitektInnen nicht als ArbeiterInnen. Sie sehen sich als vorübergehend benachteiligte Kreative, die sich irgendwie von den BauarbeiterInnen unterscheiden, die ihre Zeichnungen in die Realität umsetzen. Wenn ArchitektInnen beginnen, sich als ArbeiterInnen zu verstehen, eröffnen sie sich eine breite Palette politischer Möglichkeiten, die das Potenzial haben, die Praxis und das Gesicht der Architektur zu verändern – nicht als einzelne Genies, sondern als kollektive, organisierte politische Akteure.”
Solange das Bild des vorübergehend benachteiligter Künstlers, welcher nur hart genug arbeiten und leiden muss um endlich Erfolg, Geld und Ruhm zu erringen, sich so fest in unser aller Köpfen hält, solange können wir nicht begreifen, dass wir genauso LohnarbeiterInnen sind, wie die Menschen, welche unter noch viel prekäreren Umständen unsere Entwürfe auf der Baustelle umsetzen. Wenn wir diese Tatsache akzeptieren, ist der Schritt zur gewerkschaftlichen Organisation nicht mehr weit und eröffnet reale Möglichkeiten, den Status Quo der Architekturbranche zu ändern. Und zwar nicht als einzelnes Individuum, sondern als politisch organisierte Gruppe. Die meisten (jungen) ArchitektInnen arbeiten in großen Büros mit Projekten von fragwürdigen AuftraggeberInnen und haben wenig bis gar kein Mitspracherecht im Entwurfsprozess, was ihnen das Gefühl der Bedeutungslosigkeit gibt. Doch gerade die Organisation der Beschäftigten, der Aktivismus und die gewerkschaftliche Organisierung bieten die Möglichkeit, die Dinge in größeren Büros in großem Umfang zu verändern. Denn nur wenn sich die großen Akteure in der Branche ändern, kann sich die gesamte Branche ändern.
Wagen sich PlanerInnen dann aus der abhängigen Beschäftigung heraus, was für alle die weder eine reiche Familie, Freunde und Verwandte die einem Bauaufgaben zuschustern oder einen gutverdienenden Ehepartner haben relativ schwierig ist, fallen diese dann oft zurück in die seit dem Studium eingetrichterten neoliberalen Muster. Sobald aus den LohnarbeiterInnen dann UnternehmerInnen werden, ist mit fairen Gehältern und sozial nachhaltigen Arbeitsbedingungen dann nicht mehr viel her, denn sie sind jetzt ja ebenfalls Teil des kapitalistischen Systems. Dabei sind genau diese Personen, die in die Position der EntscheiderIn rücken, dazu in der Lage den Teufelskreis durchbrechen zu können. Neue Chefs hätten alle Möglichkeiten unsere Arbeitswelt neu zu gestalten, nicht nur in der Architekturbranche.
Die Kammern der einzelnen Bundesländer und die Bundesarchitektenkammer sind unsere VertreterInnen in der der Politik. Wenn man sich das Profil des Vorstands und der Vertretung anschaut, ergibt sich ein relativ homogenes Bild: überwiegend FreiberuflerInnen oder InhaberInnen von Büros, was natürlich Sinn macht: Sie haben ein Interesse daran, Lobbyarbeit für ihre eigenen Bedürfnisse zu betreiben, sind entsprechend mehr in den entscheidenden Positionen zu finden. Sie haben außerdem mehr zeitliche Flexibilität sich ehrenamtlich zu engagieren.
Aus dem Jahresbericht 20/21 der Bundesarchitektenkammer geht hervor, dass die Zahl der freischaffenden Kammermitglieder in den letzten drei Jahren sogar gesunken ist, die Zahl der angestellten Mitglieder stieg jedoch signifikant. Warum gibt es also kaum Angebote und Support für diesen Großteil der Mitglieder? Sieht man sich die Themen des Jahresberichts an, zeichnen diese ein klares Bild der Interessen. Freiberuflichkeit, Mittelstand, Globalisierung – alles Themen, die für angestellte ArchitektInnen wahrscheinlich eher wenig Relevanz haben.
Können die Kammern die Vertretung der ArbeitnehmerInnen überhaupt realistisch übernehmen und sinnvoll in ihre Organisation eingliedern? Besteht dabei nicht die Gefahr, dass es zu Interessenskonflikten innerhalb der Kammer kommt? Zwar unterstützt die Kammer ihre angestellten Mitglieder durch Rechtsberatung und kann Kammermitglieder bei rechtlichen Verstößen ahnden und in Folge ihre Mitgliedschaft beenden, also de facto deren weitere Berufsausübung deutlich erschweren. Aber hat der Großteil der aktiven Kammermitglieder überhaupt ein berechtigtes Interesse an Arbeitnehmerrechten?
Sieht alles ziemlich düster aus – wo soll man denn da anfangen?
Ganz schön viele Probleme, oder? Auch wir fühlen uns oft extrem hilflos und haben leider nicht den Masterplan zur Rettung unserer Branche in der Tasche. Viele Ursachen sind zudem in Strukturen zu finden, die weit außerhalb unseres Bereichs liegen. Trotzdem gibt es Dinge die wir tun können.
Bereits StudentInnen können sich politisch engagieren und mit der Arbeit in Fachschaften und Gremien ihren Hochschulalltag aktiv mitgestalten. In Lohnarbeit angestellte ArchitektInnen können durch Solidarität untereinander bereits einiges bewegen, beispielsweise offen über Gehälter sprechen. Zudem besteht bereits ab einer Anzahl von fünf volljährigen Beschäftigten im Betrieb das Recht auf Gründung eines Betriebsrates, um aktiv und kollektiv über ihre Arbeitsbedingungen verhandeln zu können (wer dazu mehr wissen will: beispielsweise informiert die IG Metall hier ausführlich). Wer zusätzliche Kapazitäten, hat kann sich aktiv an der Arbeit in den Architektenkammern beteiligen, um auch die Stimme der angestellten ArchitektInnen in der Politik zu verschaffen. Auch selbst die Wahl der Kammervertretung ist ein wichtiger Schritt der Beteiligung, der nicht viel Zeit kostet.
Es gibt viel zu tun aber der Wandel ist möglich und unausweichlich, denn der Luxus der Wahlmöglichkeit steht euch und uns nicht mehr zur Verfügung: Antworten auf die drängenden Fragen unserer Zeit müssen trotzdem gefunden werden.
Eine Veränderung passiert nicht durch die unkritische Anpassung an den Status Quo: werdet unbequem! Politisch Position beziehen und eine eigene Haltung entwickeln ist eine der wichtigsten Aufgaben. Lest! Informiert euch! Hinterfragt! Diskutiert! …und bleibt kritisch! Wir bleiben ebenfalls dran!
Wir sind Mitgründerinnen von aaaa, der Anti Architecture Architecture Association. Dort pflegen wir den niedrigschwelligen Austausch bezüglich Arbeitsbedingungen, Bezahlung und andere branchenspezifischen Themen. Besucht uns auf Instagram und macht mit!