Corona smashes the patriarchy?

Die Corona Krise als Chance für mehr Gleichberechtigung in der Architektur

Dieser Text erschien im Oktober 2020 im LAMA Architekturmagazin – Sonderausgabe Herbst 2020.

Es kann nicht oft genug gesagt werden – die Architekturbranche hat ein Frauenproblem. Ist das Geschlechterverhältnis unter Absolventen und Absolventinnen noch ausgewogen, so brechen die Zahlen der in den Architekturbüros beschäftigten Mitarbeiterinnen zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr (bzw. dem ersten Kind) ein. Grund dafür ist die mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wer in der von einer enormen Präsenzkultur geprägten Branche nicht Vollzeit plus Überstunden leisten kann wird verdrängt. Bei einer Arbeitsorganisationskultur, welche auf Architekturschaffende ohne Sorgeverpflichtung ausgerichtet ist, werden verantwortungsvolle Aufgaben wie die Projektleitung nur in den seltensten Fällen von MitarbeiterInnen in Teilzeit übernommen. Vor allem Mütter in Teilzeit erledigen nach ihrer Rückkehr in den Beruf nur noch Arbeiten unter ihrer Qualifikation oder Erfahrung. Zusätzlich fördert das enorme Gehaltsgefälle zwischen den Angestellten, im Durchschnitt 32% in Europa, das traditionelle Familienbild mit männlichem Versorger und der Frau als Hausfrau und Mutter. Auch an den Universitäten zeigt sich laut Viktoria Edler, die den Frauenanteil an der TU Wien untersucht hat, kein anderes Bild: “Mit den steigenden Qualifikations- und Karrierestufen geht der Frauenanteil stark zurück, es kann regelrecht von einer „Karriereschere“ gesprochen werden.”

“Karriereschere” – nach Viktoria Edler und Stephanie Szerencics in Future Lab Magazine 13, TU Wien, Mai 2020

Lösungsansätze eines beruflichen Wertewandels zu neuen Arbeitsmodellen wie Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und Tandem-Teams waren vor der Corona Krise selten in Architekturbüros zu finden. Arbeit im Team ohne im gleichen Raum zu sitzen und die Führungskraft regelmäßig prüft ob auch alle fleißig sind? Das kann doch gar nicht funktionieren!

Dann kam die Pandemie und der damit verbundene Shutdown. Und plötzlich war alles anders! Architekturbüros, die bereits auf Laptops für ihre Angestellten umgestellt hatten, waren klar im Vorteil. Andere transportierten kurzerhand ihre Desktop-Rechner nach Hause oder es wurden innerhalb weniger Tage Laptops gekauft. Das Hardware Problem war also relativ schnell gelöst – doch wie ging es dann weiter? Die Blitz-Digitalisierung der Büros durch die Digital Natives fand für viele Führungskräfte überraschend(erweise) unspektakulär statt. Vor allem die vielen jungen Architekturschaffenden der Millennial-Generation verlegten ohne Probleme die Kommunikation mit ihren KollegInnen in die digitalen Dienste wie Skype, Slack, Teams oder Zoom. Vom heimischen Küchentisch oder Sofa ging die Arbeit (meist) weiter wie vorher – zumindest für alle ohne Nachwuchs. Für Familien gestaltete sich der neue Alltag jedoch etwas anders. Die ExpertInnengruppe der Bundesrepublik Deutschland, die, das sei kurz erwähnt, aus 24 Männern und 2 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren besteht, schloss Kitas, Kindergärten und Schulen bis auf Weiteres. Dem zugrunde liegt die systemische Annahme, dass eine Person im Haushalt selbstverständlich für Reproduktionsarbeit verfügbar ist und auf die bei der Betreuung der Kinder zurückgegriffen werden kann. Es wurde also davon ausgegangen, dass in der Krise die Frauen im Hinblick auf ihre Jobs kürzer treten und sich der Betreuung des Nachwuchses widmen. Bereits kurz nach dem Shutdown verkündeten viele Medien eine Retraditionalisierung der Gesellschaft. Feministinnen fürchten, dass die Corona Krise die stärker werdende Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen um Jahrzehnte zurückwerfen könnte. Die Pandemie verstärkt die bereits bestehenden Ungleichheiten. Jedoch machen Ausnahmesituationen und die einhergehende Verschlimmerung des Zustands für die Beteiligten die Relevanz der Kämpfe umso sichtbarer. Nun scheint die Pandemie in Europa abgeschwächt und die Menschen kehren nach und nach in ihren Arbeitsalltag zurück. Wird dieser jedoch wieder so sein wie vorher und wie können Erkenntnisse aus der Krise einen beruflichen Wertewandel in der Architektur vorantreiben?  

“Anteil der weiblichen und männlichen Vollzeit und Teilzeit Angestellten” – nach Grafik der Bundesarchitektenkammer Deutschland, Broschüre Gehaltsbefragung 2015 in Vorstudie “Frauen in der Architektur” der TU München, 2018

Die Erfahrungen aus der Corona-Krise bietet uns Architekturschaffenden eine riesige Chance, endlich ortsunabhängiges Arbeiten flächendeckend zu etablieren. Die Vorteile dieser flexiblen Arbeitsweise, wie höhere Produktivität, größere Zufriedenheit durch Selbstbestimmung und eine bessere Umweltbilanz dank weniger Reisen, sind durch diverse Studien erwiesen. Die letzten Monate haben außerdem gezeigt, dass Architekturprojekte genauso erfolgreich aus dem Homeoffice bearbeitet werden können wie aus dem Büro. Ein zweiter Wandel zeigt sich außerdem in der Führungsebene – Projektverantwortliche, die mit Machtgesten und Kontrollgehabe ihre Positionen gefestigt haben, verlieren seit Beginn der Krise ihre Instrumente. Bisherige vertikale Führungshierarchien werden aufgelöst und durch Netzwerke ersetzt. Corona zeigt einmal mehr, dass Architektur ein Teamsport ist. Das fachliche Know-How bündelt sich in den Teams, in welchen durch digitale Hilfsmittel ein permanenter Wissensaustausch stattfindet. Den meisten Führungskräften blieb nichts anderes übrig als ihren Angestellten mehr Vertrauen entgegen zu bringen und ergebnisorientiert zu arbeiten. Die täglichen Vorurteile und Deklassierungen welche Frauen im Büro erfahren, verringern sich durch die Arbeit im Homeoffice, da weder mit bloßer Präsenz im Büro noch mit wichtigtuerischem Smalltalk bei der Führungskraft gepunktet werden kann. Es zählt die tatsächlich erbrachte Leistung und Kommunikation im Team – unabhängig vom Geschlecht. Verwendung von Kürzeln statt Namen in der schriftliche Kommunikation machen es einfacher, Arbeit unabhängig vom Geschlecht zu bewerten.

Jedoch bringen auch die besten Konzepte für ortsunabhängiges Arbeiten nichts, wenn Frauen in einer Partnerschaft trotzdem den Großteil der Pflegearbeit zu Hause verrichten und ihre Lohnarbeit dann „flexibel“, nachts wenn der Nachwuchs schläft, verrichten. Ist es dem Gegenüber in der Beziehung  jedoch auch möglich, flexibel im Homeoffice zu arbeiten, besteht die Möglichkeit zu mehr Gleichberechtigung. Die SOEP-COV-Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zusammen mit der Universität Bielefeld zeigt, dass sich während des Lockdowns Frauen und Männer gleichberechtigter um die Kinder und den Haushalt gekümmert haben als vorher. Zwar haben Frauen noch immer einen Vorsprung, da sie bereits vor dem Shutdown wesentlich mehr Pflegearbeit geleistet haben, jedoch zeigt sich ein positiver Trend welcher auch nach der Krise erhaltenswert wäre. Die Studie legt nahe, dass durch flexibles Arbeiten beider Elternteile für eine gleichberechtigtere Aufteilung der Care-Arbeit gesorgt werden kann. 

Vorteile bringen flexible Arbeitskonzepte auch bei der Rückkehr in den Beruf nach einer Schwangerschaft. Mütter können durch Homeoffice schneller wieder zurück in ihren Job, die Lücke in der Lebensarbeitszeit und beim Verdienst zwischen Männern und Frauen wird verringert. Hier ist jedoch an vielen Stellen auch die Politik gefragt. Gesetzlich vorgeschriebenes Anrecht auf Homeoffice und eine Teilzeitquote in den Unternehmen können nur durch staatliche Vorgaben durchgesetzt werden.

“Leaky Pipeline” – nach Sophie Schaffer und Katharina Rohringer in Future Lab Magazine 13, TU Wien, Mai 2020

Die Architekturbranche bleibt mit ihrem Arbeitswahn und den engen Deadlines sicherlich ein Vorzeigeobjekt der neoliberalen Leistungsgesellschaft. Der Beruf ist mehr als nur ein Beruf – zumeist ist er auch Identität und Lebenskultur. Viele dieser Gegebenheiten wird auch die Corona-Krise nicht ändern können. Verändert werden können jedoch die Rahmenbedingungen. Und die neue Generation von Architekturschaffenden, welche die Krisenjahre der frühen 2000er nicht kennt, fordert den nötigen Wandel selbstbewusst ein. Faire Perspektiven und Gehälter, vielfältige Teams und eine ausgewogene Work-Life-Balance sind für sie selbstverständlich. Insbesondere die Vielfalt sollte einen höheren Stellenwert bekommen, denn Unternehmen mit hoher Diversität erbringen laut Studien bessere Leistungen und haben ein höheres Ansehen. Zudem wenden sie wirtschaftlichen Schaden ab, indem sie auf die gesamte Kompetenz der Gesellschaft zuzugreifen. Die Konzepte der New Work können für mehr Frauen in der Architektur sorgen – frei nach Ursula Faix: „institutions empowering women empower themselves“. 

1 vgl. Bundesarchitektenkammer Deutschland: Absolventen Architektur bis 2018 https://www.bak.de/w/files/bak/07-daten-und-fakten/ausbildung/absolventen_architektur_bis2018.pdf
2 vgl. Bundesarchitektenkammer Deutschland: Bundeskammerstatistik 2020 https://www.bak.de/w/files/bak/07-daten-und-fakten/architektenbefragungen/bundeskammerstatistik/bundeskammerstatistik-nach-geschlechtern-zum-01.01.2020.pdf
3 vgl. Czaja, Wojciech im Interview mit Sabina Riss: Frauen im Bau – Wer hat Angst vor Frau Architekt? In:Der Standard, 02.02.2019 https://www.derstandard.at/story/2000097388466/frauen-im-bauen-wer-hat-angst-vor-frau-architekt (14.05.2020)
4 Edler, Viktoria: „Wir sind auf dem Weg“: Genderkompetenz im Architekturstudium. In: future.lab Magazine13 TU Wien, Mai 2020 ​http://www.futurelab.tuwien.ac.at/​ (01.07.20)
5 vgl. Baum, Antonia: Hannelore radikalisiert sich. In: Die Zeit, 24.04.2020 https://www.zeit.de/kultur/2020-04/kinderbetreuung-berufstaetige-frauen-rollenverteilung-familie-corona-krise-10nach8/komplettansicht​ (27.06.2020)
6 vgl. Hans Böckler Stiftung: Pressemitteilung vom 21.04.2020 https://www.boeckler.de/de/pressemitteilungen-2675-23098.htm​​ (22.04.2020)
7 vgl. Stuiber, Petra: Der Gender Effekt von Corona–Feminismus auf dem Abstellgleis. In: Der Standard,03.04.2020 https://www.derstandard.de/story/2000116460750/der-gender-effekt-von-corona-feminismus-auf-abstellgleis​ (27.05.2020)
8 vgl. Novotny, Maik: Architekten Fight Club – Die Zeit der Meisterarchitekten ist vorbei. In: Der Standard,27.01.2019 https://www.derstandard.at/story/2000097021945/architekten-fight-clubdie-zeit-der-meisterarchitekten-ist-vorbei
9 vgl. SOEP-COV Studie ​https://www.soep-cov.de/Spotlight_1/​ (Stand 29.06.2020)
10 vgl. Groll, Tina & Loos, Andreas: Emanzipation: Von wegen Rolle rückwärts. In: Die Zeit, 08.06.2020 https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2020-06/emanzipation-corona-krise-gleichstellung-soep-arbeitsteilung-belastung​​(30.06.20)
11 vgl. Dashöfer Verlag: Homeoffice fördert die Karriere von Müttern, Online-Artikel vom 08.05.2019 https://www.dasgleichstellungswissen.de/homeoffice-f%C3%B6rdert-karrieren-von-m%C3%BCttern.html?src=1
12 vgl. Riss, Sabina: Architekturpraxis(schock). In: Future Lab Magazine 13 TU Wien, Mai 2020