Doppelte Agenden

Die pakistanische Hafenstadt Gwadar soll zu einem neuen Shenzhen werden.

Dieser Text erschien im Dezember 2020 in der archithese Schriftenreihe Ausgabe 3.2020 – Geopolitik.

Gwadar wird im Rahmen der chinesischen Belt and Road Initiative einen Tiefseehafen erhalten und damit zu einem wichtigen Handelsknotenpunkt ausgebaut. Parallel soll es eine Grossstadt mit zwei Millionen Einwohnenden werden. Die Verbindung von Chinas Westen mit dem Arabischen Meer über den pakistanischen Landweg macht den Ort für die neue Supermacht geopolitisch höchst attraktiv. Weil die Planungen intransparent und zudem mit Zwangsumsiedlungen und wachsender sozialer und demografischer Ungleichheit verbunden sind, stossen sie bei der lokalen Bevölkerung auf Widerstand. Wer jedoch meint, dass Pakistan mit diesem Projekt zum Opfer von Chinas neokolonialen Manöver wird, denkt zu kurz. Für die Regierung in Islamabad ist die Präsenz Chinas höchst willkommen: Dessen Militär soll künftig helfen, die Belutschen davon abzuhalten, ihr Recht auf einen eigenen Staat durchzusetzen.

Von Freiheit und Unterdrückung.

Haben Sie jemals von der pakistanischen Hafenstadt Gwadar gehört? Den meisten Europäern ist sie wohl unbekannt. Erst als Baustein der Belt and Road Initiative (BRI) – jenem gewaltigen, von China initiierten globalen Infrastrukturprogramm – macht sie vermehrt Schlagzeilen.

Gwadar liegt an der Küste des Arabischen Meeres, im Südwesten der grössten pakistanischen Provinz Belutschistan. Diese Wüsten- und Bergregion grenzt an den Iran und Afghanistan, ist dünn besiedelt, von Trockenheit und Armut geprägt, jedoch reich an Bodenschätzen. Seit dem Zweiten Weltkrieg ist Belutschistan ein permanenter Krisenherd, da die Grenzen der Provinz im 19. Jahrhundert von der britischen Kolonialmacht ohne Rücksicht auf die dort lebenden ethnischen Gruppen gezogen wurden. Das Siedlungsgebiet der Belutschen verteilt sich seitdem auf Pakistan, den Iran und Afghanistan. Auch die nördlich davon gelegene Region der Paschtunen wird von der afghanischpakistanischen Grenze zerschnitten.

Von 1870 bis 1947 gehörte der heute in Pakistan liegende Teil Belutschistans zur Kolonie Britisch-Indien. Als sich die Kolonialmacht von dort zurückzog, erklärte Belutschistan seine Unabhängigkeit, doch die Regierung des neu gegründeten Pakistan zwang die Region mit Waffengewalt, eine seiner Provinzen zu werden. Die Belutschen haben wie die Paschtunen diese zwangsweise Integration in den pakistanischen Staat nie akzeptiert, weshalb wiederholt kriegerische Konflikte zwischen den Stämmen und der pakistanischen Armee entbrannten.1

Die Geschichte von Gwadar ist noch komplexer. Schon früh spielte die kleine Hafenstadt als Umschlagplatz beim Handel mit Sklaven, Gewürzen und Elfenbein eine wichtige Rolle – als Schnittstelle zwischen dem Indischen Ozean und Zentralasien. Von 1783 bis 1958 befand sich die Stadt im Besitz des Königreichs Oman.2 Sie blieb auch Teil des Oman, als der neu geschaffene und sie umschliessende Staat Pakistan 1947 die Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich erlangte. Nachdem Aga Khan III. – das geistliche Oberhaupt der ismailitischen Nizariten – dem Oman 1958 drei Millionen Pfund zahlte, wurde die Exklave Gwadar an Pakistan abgetreten.3

Strategisches Gewicht.

Gwadar liegt auf einer nach Süden ins Meer ragenden niedrigen, sandigen Halbinsel, die im Westen und Osten zwei halbkreisförmige Buchten – Paddi Zirr und Demi Zirr – ausbildet und mit dem gestreckten Koh-e-Batil-Felsplateau endet. Aus der Luft gesehen reicht die Halbinsel wie ein riesiger Anker ins Meer, wobei die Felsen gleich einer gewaltigen natürlichen Mole die Buchten vor Stürmen schützen. Die Stadt ist seit Jahrhunderten von Fischerei geprägt und hat derzeit circa 260 000 Einwohner.

Wegen der geografisch vorteilhaften Lage Gwadars nahe der Strasse von Hormus, dem «Tor» zum Persischen Golf, wurden bereits in den 1950er-Jahren Investoren auf die Stadt aufmerksam. Das Wasser ist tief, was die Anlage eines Tiefseehafens ermöglicht. Diese Faktoren machen die Stadt im Zeitalter der zunehmenden Containerschifffahrt geopolitisch (erneut) interessant. Die Port of Singapore Authority investierte, und 2007 wurde ein erster Teil des Hafens eröffnet. Doch Sicherheitsbedenken und Streitigkeiten um die Landrechte liessen den neuen Hafen unternutzt vor sich hindümpeln.4 Als China 2013 dann die Belt and Road Initiative lancierte, kam neuer Wind in die Sache. In ihr sind zahlreiche Projekte zum Auf- und Ausbau interkontinentaler Handelsinfrastrukturen gebündelt. In der offiziellen Rhetorik soll sie allen beteiligten Ländern zu mehr Wohlstand, Lebensstandard und Gesundheit verhelfen. In der kritischen Lesart geht es aber vor allem darum, neue Absatzmärkte für China zu erschliessen, sich Rohstoffe zu sichern, Fabriken in Billiglohnländern zu errichten und neue Militärstützpunkte zu etablieren.

Die Wahrheit ist wohl ein Amalgam aus beidem. Die in der BRI vorgeschlagenen Projekte werden entweder von den betroffenen Ländern selbst, mithilfe chinesischer Kredite oder über Direktinvestitionen der Volksrepublik finanziert. Der China-Pakistan Economic Corridor ( CPEC ) ist ein wichtiges Teilprojekt der BRI. Er soll die im Nordwesten des Landes gelegene chinesische Provinz Xinjiang und die zentralasiatischen Staaten über eine oder mehrere Strassen durch Pakistan mit dem Arabischen Meer und von dort als Schifffahrtsroute mit dem Nahen Osten und Europa verbinden. Die bisherige lange Route auf dem Landweg quer durch China und per Schiff durch das Südchinesische Meer, über die Strasse von Malakka und rund um Indien würde damit entscheidend abgekürzt.5 Die Durchquerung Pakistans vom Kunjirab-Pass im Himalaya bis Gwadar, die teilweise über den Karakorum Highway erfolgt, gilt als der ambitionierteste Teil des Projekts. Die Schnellstrasse verläuft durch Gilgit-Baltistan – eine Region Kaschmirs, um die sich Pakistan und Indien seit der Unabhängigkeit und Teilung in zwei Länder fortwährend streiten und wo es regelmässig zu Anschlägen auf chinesische Infrastrukturen und Bürger sowie pakistanische Soldaten kommt.6 Die instabile ökonomische und politische Lage Pakistans lässt bezüglich der Wirtschaftlichkeit und Zuverlässigkeit der Landroute nach Zentralchina Zweifel aufkommen. Sowohl der Streckenabschnitt durch Kaschmir als auch derjenige durch das belutschische Rebellengebiet machen Schutzmassnahmen der Transporte durch das pakistanische Militär nötig, das für die benötigten Eskorten jedoch kaum ausreichende Mittel zur Verfügung hat.7

Mit grösster Wahrscheinlichkeit ist China bewusst, dass dort jederzeit mit Strassenblockaden gerechnet werden muss. Dennoch wird das von Pakistan und China finanzierte Projekt dessen ungeachtet vorangetrieben.8 Vielleicht ist der Transportkorridor letztlich auch nur das Feigenblatt für eine andere, militärstrategische Agenda? Es mehren sich Stimmen, die vermuten, dass es China letztlich vor allem darum gehen könnte, in Gwadar einen Marinestützpunkt zu errichten, um zukünftig die Einfahrt in den Persischen Golf zu kontrollieren.9

China-Pakistan-Economic-Corridor (CPEC)

Aber auch Pakistan profitiert von der Zusammenarbeit mit China: Einerseits befinden sich beide Länder in der Region Kaschmir im Konflikt mit dem benachbarten Indien. Eine Verständigung mit China über die strittigen territorialen Ansprüche in und um Nordindien könnte dazu führen, dass sie eine neue strategische Position einnehmen und direkt in Kaschmir intervenieren.10 Andererseits erhofft sich Pakistan von der Ansiedlung chinesischer Industrie Unterstützung beim Kampf gegen die belutschischen Rebellen. 870 der 2700 Kilometer der CPEC-Route verlaufen durch Belutschistan. Die Lieferung chinesischer Kampfhelikopter zur Unterstützung der pakistanischen Armee im Kampf gegen die Rebellen zeigt, dass China ein Interesse an der Beseitigung des Konflikts hat – wenn nötig auch mit Waffengewalt.11

Planung mit der groben Kelle.

Die ersten Pläne für eine Vergrösserung Gwadars im Jahr 2002 stammten von der pakistanischen Firma NESPAK ( National Engineering Services Pakistan )12 und sahen bereits eine Hightech-Metropole für zwei Millionen Menschen vor, die Karatschi als wichtigstes Handelszentrum Pakistans hätte ablösen sollen. Darin wurde auch die Umsiedlung eines Grossteils der Altstadtbevölkerung in einen acht Kilometer auswärts liegenden neuen Stadtteil namens Noken Mullah Band beschlossen.13 2015 wurde Gwadars Tiefseehafen dann für 43 Jahre an China verpachtet. Damit nahm die Entwicklung der Stadt einen neuen Kurs. Sie soll nun in elf Zonen und einen Business District unterteilt werden und letztlich 15 Mal so gross werden wie heute. In den nächsten Jahren sollen dort zudem laut Masterplan neue Gas- und Kohlekraftwerke, Meerwasserentsalzungsanlagen, ein internationaler Flughafen, eine künstliche Insel und Pakistans höchste Gebäude entstehen. Zusätzlich sind grosse Flächen für eine militärische Nutzung reserviert.14

China Communications Construction Company ( CCCC ), Gwadar, Masterplan 2019

Die geplante Transformation der ehemaligen Fischerstadt in eine hypermoderne Metropole anhand eines weitgehend intransparenten Planungsprozesses ruft bei der lokalen Bevölkerung Ängste hervor; Bürgerbewegungen und Aktivisten traten in Aktion, um die Umsiedlungen aufzuhalten. Mit Erfolg: Im Februar 2020 wurde ein neuer Masterplan veröffentlicht, welcher nun von der pakistanischen Gwadar Development Authority ( GDA ) stammt. Gemäss diesem bleibt die Altstadt als Kulturerbe erhalten.15 Noch immer von Verdrängung bedroht ist jedoch der traditionelle Hauptwirtschaftszweig der lokalen Bevölkerung: die Fischerei.

Der Bau des Tiefseehafens verkleinert die angestammten Fanggründe. Nutzten die Fischer früher vermehrt die östliche Bucht, ist dies durch den Ausbau des Tiefseehafens heute nur noch in geringem Masse möglich. Der East Bay Expressway – eine sechsspurige Schnellstrasse, die den Hafen mit der Küstenstrasse nach Karatschi verbindet – erschwert den Fischern den Zugang zum Meer. Der vor Stürmen geschützte Strand Dooriya wird von den meisten Fischern Gwadars angelaufen. Dort liegen ihre kleinen Fischerboote, und von dort aus wird der Fang mit Eselskarren in den Ort gebracht. Die neue Schnellstrasse sieht jedoch nur wenige schmale Unterführungen zwischen Strand und Stadt vor, was den Alltag der Fischer beeinträchtigen wird.16

Die Kluft wird breiter.

Auch wenn die zur Vermarktung entwickelten Renderings für das zukünftige Gwadar mit glitzernden Hochhäusern an Stränden und Uferpromenaden denen gleichen, die man von Dubai oder Shenzhen kennt: Die Akteure und Mechanismen, die Gwadar zu einer Handelsmetropole machen sollen, unterscheiden sich grundlegend von anderen wirtschaftsgetriebenen grossmassstäblichen Ad-hoc-Stadtentwicklungen. Der Hauptakteur ist hier nicht die lokale Regierung, sondern ein ausländischer Staat mit eigenen wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen. Reibungen und Konflikte sind vorprogrammiert. Bei der Umsetzung des Masterplans stellt sich die unterschiedliche Geschwindigkeit der pakistanischen und der chinesischen Planung als problematisch heraus. Die schwerfällige pakistanische Bürokratie ist mit ihren zahlreichen Ministerien, Akteuren mit unterschiedlichsten Interessen und aufgrund der Gegenwehr der lokalen Bevölkerung der zentral gelenkten, staatskapitalistischen Marktwirtschaft Chinas unterlegen. Ausserdem haben die Behörden in Pakistan wenig Erfahrung mit der Planung neuer Metropolen. Umweltschutz und Nachhaltigkeit wurden dort bisher überhaupt nicht als Faktoren angesehen, die es zu berücksichtigen gilt.17

In Gwadar schlägt sich dies in einem extremen Kontrast zwischen dem modernen Hafen und der Altstadt mit ihrer schlechten Infrastruktur nieder. Die Bewohner der Altstadt haben kaum Zugang zu Trinkwasser, Elektrizität oder Kanalisation. Der Hafen, die Verwaltungsgebäude und die neuen Siedlungen hingegen werden mit zeitgemässer Infrastruktur ausgestattet.18 Das unterschiedliche Entwicklungstempo von Hafen und Stadt führt zu einer Unvereinbarkeit der beiden Gebiete und zu Unruhen in der lokalen Bevölkerung. Während die chinesischen Investoren und die Regierung in Islamabad vorrangig die Sonderwirtschaftszone des Hafens und die Worthülse der Smart City als Konzept für die Entwicklung priorisieren, fühlt sich die lokale Bevölkerung von der Planung ausgeschlossen. Ein übergreifendes Infrastrukturkonzept für die gesamte Stadt fehlt. In den neu erschlossenen Zonen entstehen Strassen und Parks. Die alten Stadtteile Gwadars gleichen hingegen Slums, die sowohl mit Überschwemmungen als auch mit Wasserknappheit zu kämpfen haben.19 Zudem gibt es häufig Stromausfälle. Was die Energieversorgung angeht, ist Pakistan stark vom Iran abhängig. Neue, eigene Kohle- und Gaskraftwerke sind geplant und teilweise bereits fertiggestellt. Das letzte realisierte Kohlekraftwerk wurde teils von der pakistanischen Regierung und teils von China bezahlt.

Die Prozesse und Zuständigkeiten zwischen der pakistanischen Regierung und China sind aber bei den meisten Planungen für die Öffentlichkeit undurchsichtig. Unbedachtes Flächenmanagement führt zu steigender Grundstücksspekulation. Die der Regierung zugehörige Gwadar Industrial Estate Development Authority ( GIEDA ) vermittelt aktiv privates Land an aus- und inländische Investoren und fördert so den Ausverkauf der zukünftigen Stadtfläche, noch bevor diese überhaupt gebaut ist.20 Die ausländischen Investitionen stammen dabei vor allem aus Asien und den Golfstaaten. Durch die steigenden Preise war es zum Beispiel für die neue Universität, die Ende 2019 eröffnet wurde, bereits schwierig, ein bezahlbares innerstädtisches Grundstück zu finden. Durch seine kommerzielle Ausrichtung sieht der Masterplan zudem nur wenige Flächen für öffentliche und gemeinnützige Aktivitäten vor.21 Freizeit- und Kulturangebote wie Parks, Sportplätze und Museen – unabdingbar für eine lebendige Stadt – sind im Masterplan nur in sehr geringer Zahl vorhanden und oft nur den privilegierten Bewohnern einzelner Bezirke zugänglich, beispielsweise in Form von Golfplätzen. Halb fertiggestellte Gated Communities für chinesisches Fachpersonal und eingezäunte, leere Spekulationsgrundstücke zerteilen die zukünftige Stadtfläche. Die bereits im Bau befindlichen Wohnprojekte zeichnen sich durch eine geringe Dichte aus, was dazu führen wird, dass sich die Bewohnenden hauptsächlich mit dem Auto bewegen werden. Nachhaltig bauen in einem Wüstenklima geht anders.

2019 verlangsamte sich die High-Speed-Urbanisierung der Stadt.22 Ausser dem stark bewachten Hafen sind die spekulativen Projekte bis heute fast alle Papier geblieben. Lediglich endlose Kilometer an Strassen, leeres Bauland und verblichene Werbeplakate für Immobilien erzählen vom Traum einer Metropole.23 Das Wirtschaftswachstum Chinas hat sich in den letzten Jahren verlangsamt und die Folgen der COVID-19 Pandemie wie auch ihre Auswirkungen auf die Weltwirtschaft sind momentan noch nicht abzusehen. Wahrscheinlich wird es Jahre dauern, bis in Gwadar weitergebaut wird.

Neokolonialismus und Partnerschaften zur Unterdrückung.

Diese zwangsweise Verschnaufpause sollte die lokale Regierung als Chance nutzen, um die Planung für Gwadar zu überarbeiten. Es müssen Ideen entwickelt werden, wie die Stadt zu einem inklusiven Zentrum für die gesamte Region entwickelt werden kann. Die Regierung muss Möglichkeiten finden, zukünftig die Planung der chinesischen Investoren zu lenken und den Grundstücksspekulationen Einhalt zu gebieten. Die Bevölkerung muss stärker eingebunden und die Wasserversorgung für alle sichergestellt werden. An Letzterem wird bereits gearbeitet: Das Reservoir des Sawad-Damms soll künftig Trinkwasser für alle liefern.24

Dies kann ein erster Schritt zu einer nachhaltigen Entwicklung der Stadt sein. Anstatt eine artifizielle Stadt zu erschaffen, die ausschliesslich den Mechanismen der Immobilienspekulation unterworfen ist, müssen soziale, politische und infrastrukturelle Fragen beantwortet werden. Die Belutschen werden in Pakistan häufig als minderwertige Bevölkerungsgruppe angesehen und die Gefahr besteht, dass sie vom wirtschaftlichen Wachstum ausgeschlossen bleiben. Ausbildungsmöglichkeiten gab es für sie bisher kaum, und so finden sie momentan lediglich Jobs im Niedriglohnsektor. Zugang zu höherer Bildung haben sie erst seit der Eröffnung der Universität im letzten Jahr. Momentan werden viele Stellen im Hafen mit chinesischen Ingenieuren besetzt. Ob – beziehungsweise wann – sich dies ändern wird, bleibt abzuwarten.

Der Erhalt der lokalen Kultur und Identität der Stadt ist für die Gwadaris enorm wichtig. Daher bleibt die Beziehung zwischen den Einwohnern, der Regierung und den chinesischen Firmen angespannt. Durch die geplante Ansiedlung chinesischer Staatsbürger und anderer Gastarbeiter befürchten die Belutschen, bald in ihrem eigenen Land zu einer Minderheit zu werden. Bei Demonstrationen in Gwadar Anfang 2020 setzte die Regierung Gewalt gegen die Protestierenden ein; es kommt zudem regelmässig zu Entführungen belutschischer Aktivisten durch das Militär. Die Abschirmung der chinesischen Arbeiter und Grundstücke vor der lokalen Bevölkerung verstärkt das Gefühl von Ungleichheit. Die Angst vor Verdrängung und die Hoffnung auf staatliche Selbstständigkeit veranlasst belutschische Separatisten immer wieder zu Anschlägen auf chinesische Arbeiter und Institutionen.25

China generiert durch seine Investitionen in strukturschwachen Regionen wirtschaftliche und politische Abhängigkeiten und stellt sicher, dass nahezu das gesamte investierte Geld wieder in chinesische Waren und Arbeitskräfte zurückfliesst. Der Bau einer Wirtschaftsmetropole ausserhalb des eigenen Landes, in der zahlreiche chinesische Arbeitskräfte angesiedelt werden sollen, verstärkt den Eindruck, dass wir es hier mit einer Form von Neokolonialismus zu tun haben. China streitet jedoch ab, dass an die Investitionen politische Bedingungen und territoriale Interessen geknüpft seien.26

Wird Pakistan über die Entwicklung von Gwadar und den Verkehrskorridor zum Opfer seiner wirtschaftlichen Ambitionen? Ist die Stationierung von chinesischem Militär als Einschränkung seiner Souveränität zu werten? Das zu glauben wäre naiv. Das Gegenteil ist der Fall: Der Regierung in Islamabad kommt das dort stationierte chinesische Militär höchst gelegen. Um die eigenen Investitionen und Infrastrukturen zu schützen, wird China künftig ( gemeinsam oder ohne Pakistan ) gegen den «Terror» oder – je nachdem, welche Seite man unterstützt – den «Freiheitskampf» der Belutschen vorgehen. Damit wird die Volksrepublik zum willkommenen Helfer gegen die Separatisten. Dasselbe im Norden: Eine von China militärisch gesicherte Strasse durch Kaschmir sichert einen potenten Verbündeten gegen Indien, das die gesamte Region für sich beansprucht. Die Bewohner Gwadars sind – trotz starker Bürgerinitiativen gegen die Pläne des CPEC –nicht generell gegen eine Entwicklung ihrer Stadt, jedoch wollen sie am ökonomischen und sozialen Wachstum teilhaben.27 Nur durch eine inklusive und nachhaltige ( Planungs- )Politik kann Gwadar zu einem starken Zentrum werden. Schreitet die Entwicklung jedoch voran wie bisher, wird die Stadt zu einem abgekapselten Archipel für reiche Einwohner und Expats inmitten einer von Armut und Gewalt geprägten Region. Ein Sicherheitszaun, der die gesamte Stadt vom Hinterland abtrennen könnte, ist bereits angedacht.28

(1) Secunder Kermani, «Pakistan Attack. Gunmen Storm Five-Star Hotel in Balochistan», 12.5.2019, auf: bbc.com
(2) Martin Woodward, «Gwadar. The Sultan’s Possession», 18.5.2017, auf: qdl.qa
(3) Akram Niazi, «Who do we Thank for Gwadar?», 23.5.2018, auf: dailytimes.com.pk
(4) O. A., «Gwadar Port. History-making Milestones», 14.4.2008, auf: dawn.com
(5) Andrew Chatzky / James McBride, «Chinas Massive Belt and Road Initiative», 28.1.2020, auf: cfr.org
(6) Kiyya Baloch / Jan Boone, «A new Shenzhen? Poor Pakistan Fishing Town’s Horror at Chinese Plans», 4.2.2016, auf: theguardian.com
(7) Adnan Amir, «Gwadar Port. New Dubai or Pie in the Sky?», 1.5.2020, auf: lowyinstitute.org
(8) Baloch / Boone, wie Fussnote 6.
(9) Krzysztof Iwanek, «No, Pakistan’s Gwadar Port is not a Chinese Naval Base ( just yet )», 19.11.2019, auf: thediplomat.com. Siehe auch: H. I. Sutton, «China’s new High-Security Compound in Pakistan may Indicate Naval Plans», 2.6.2020, auf: forbes.com
(10) Philippe Welti, «China expandiert», 27.8.2020, auf: themarket.ch
(11) Prakash Katoch, «Beijing’s CPEC Dilemma», 30.5.2019, auf: indiandefencereview.com
(12) Nishat Awan / Zahra Hussain, «Conflicting Material Imaginaries», 30.1.2020, auf: e-flux.com
(13) Mariyam Suleman, «How CPEC left Behind the People of Gwadar», 30.6.2020, auf: thediplomat.com
(14) Gwadar Development Authority ( Hg. ), «Gwadar Masterplan», September 2019, auf: gda.gov.pk
(15) Suleman, wie Fussnote 13.
(16) Awan / Hussain, wie Fussnote 12.
(17) Muhmmad Naveed Iftikhar, The Institutional and Urban Design of Gwadar City, London 2019, S. 16–19.
(18) Suleman, wie Fussnote 13.
(19) Ebd.
(20) Awan / Hussain, wie Fussnote 12.
(21) Gwadar Development Authority, wie Fussnote 14.
(22) Amir, wie Fussnote 7.
(23) Awan / Hussain, wie Fussnote 12.
(24) Suleman, wie Fussnote 13.
(25) Kiyya Baloch, «The China-Pakistan Economic Corridor Challenges», 28.9.2015, auf: thediplomat.com
(26) Axel Dorloff, «Partnerschaft oder neue Abhängigkeiten?», 31.8.2018, auf: tagesschau.de
(27) Suleman, wie Fussnote 13.
(28) Baloch / Boone, wie Fussnote 6.