Welche Auswirkungen wird die Corona-Pandemie auf unsere Städte haben? – Überblick über einige Szenarien.
Dieser Text erschien im Dezember 2020 im LAMA Architekturmagazin – Ausgabe 2/9.
Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen ist in überfüllten Städten schon lange eine wichtige Grundlage für die Verteilung des knappen Raumes. Gerechte Städte bieten eine Balance zwischen privatem Eigentum und dem Zugang zu Ressourcen für jeden Stadtbewohner ungeachtet seiner wirtschaftlichen Lage: Der steigende Flächenverbrauch pro Kopf konnte in den letzten Jahren auch durch die temporäre gemeinsame Nutzung von Gütern verlangsamt werden – der private Lebensraum wird mit gemeinschaftlich genutzten Stadträumen erweitert. Doch seit der Pandemie ist das Vergangenheit: Die eigenen vier Wände sind deckungsgleich mit dem Radius der neuen Normalität. Die Pandemie hat der Sharing Economy einen Riegel vorgeschoben und2 Stadtbewohner sind zurückgeworfen auf ihren privaten Raum, der jetzt für alle Aktivitäten herhalten muss: Home-Office statt Coworking, die eigene Küche statt Restaurants und Youtube-Workouts fürs Wohnzimmer statt Sport im Studio.
Das beliebte Konzept der SMART Wohnung, also flächenoptimierte Wohnungen zu unproportional hohen Preisen, funktionieren ohne gemeinschaftlich genutzte Räume kaum, sie sind schnell zu eng und klein. Private Freiräume werden zum Luxusgut, denn öffentliche Parks können unter Umständen nicht für Erholung herangezogen werden. Der wirtschaftliche Vorteil von Micro-Apartments konnte durch den steigenden Flächenverbrauch argumentiert werden; Sharing Konzepte versprechen eine gerecht geteilte Stadt, die marktwirtschaftliche Prinzipien an eben jene Probleme knüpft, denen die Städte aktuell gegenüber stehen. Judith Lembke und Birgit Ochs argumentieren in der konservativen Zeitung FAZ, dass Sharing in Zukunft als Schwäche angesehen wird: “Die Krise kratzt an der Idee, Flächen gemeinschaftlich zu nutzen, und damit an einer spezifisch städtischen Art zu leben. (…) Doch in Zeiten der Kontaktsperre sind eindeutig all jene im Vorteil, die drinnen und draußen möglichst viel eigenen Platz besitzen. (…) Hält Social Distancing länger an, versetzt das der Sharing-Bewegung nachhaltig einen Dämpfer.”1
Am anderen Ende der Welt sehen sich die Metropolen mit anderen Problemen konfrontiert: Die Schweizer Architektin Sybille Zimmermann lebt seit 1998 in LA und war verblüfft von Bauherren, die moderne Villen errichten, welche den Großteil ihrer Grundstücke einnehmen und wenig bis gar keinen Platz für Gärten lassen. Der angespannte Wohnungsmarkt in der Metropole verlangt die größtmögliche Gewinnerzielung durch absurdes Ausschöpfen der Baugrundstücke. Zudem gibt es keine Regelung für Abstandsflächen oder Konzepte für unversiegelte Gebiete in Siedlungen: Investoren in LA haben sich zu lange auf Parks und Naturschutzgebiet der Allgemeinheit verlassen. Zimmermann geht davon aus, dass die Menschen sich durch die Pandemie wieder mehr Raum für die Natur wünschen werden: „Wir müssen uns in der Natur bewegen können, und aufgrund von COVID-19 haben wir gelernt, dass unsere (Vor-) Gärten die sichersten Orte dafür sind“ sagt sie.2
Anstatt die neue Situation mit all ihrer multikausale Zusammenhänge für die Gesellschaft zu erfassen, reagierte ein Großteil der Architekturbranche mit Ideen innerhalb ihrer Blase: nur wenige Wochen nach dem Lockdown wurden bereits Ideenwettbewerbe für die Findung der idealen Lock-Down Wohnung ausgeschrieben. PlanerInnen aus der ganzen Welt stellten Theorien über die Zukunft der Stadt Post-Corona auf: der Individualverkehr werde zunehmen, eine erneute Landflucht werde die Konsequenz sein und die Wohnungen müssten größer und besser ausgestattet werden. All diese Szenarien liegen klar im marktwirtschaftlichen Interesse, sind sie aber auch im Interesse des Individuum? Denn diese Annahmen lassen eine wichtige Frage außen vor: Für welches Szenario planen wir? Wollen wir als Architekten erneut die Art des Zusammenlebens für Jahrzehnte so beeinflussen, dass die gebaute Umfeld für ein spezifisches Szenario besser funktioniert? Und dabei aber die vielen größeren Aufgaben und Gefahren außer Acht lassen, deren Konsequenzen noch nicht dieselbe Dringlichkeit erreicht haben.
Die Moderne war bereits vor 100 Jahren angetreten um durch Luft, Licht und sanitäre Anlagen die Hygieneprobleme der Großstädte zu lösen. Holz und Stoff wurden als Materialien von Fliesen, Stahl und Glas als leichter zu reinigende Oberflächen abgelöst. Die Städte sollten luftiger und weniger dicht werden, die Enge der europäischen Innenstädte wurde aufgelockert und ein Städtebau mit überdimensionierten Abstandsflächen versprach (unter anderem) eine gesündere Bevölkerung. Stadtplaner Jan Gehl kritisiert: “Dabei hatte kurz zuvor das Penicillin das Bakterienproblem gelöst; an seine Stelle traten neue Probleme – Stress, Entfremdung, Vereinzelung, Verkehr. Auch darauf hat die Architektur Antworten gesucht, trotzdem baute man weitere 40 Jahre lang, als ob unser größtes Problem immer noch die Tuberkulose wäre.” Seit Jahren setzt er sich für eine Demokratisierung der Städte ein, einen öffentlichen Raum der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert – und dem die Moderne widerspricht: „Die Stadt als Maschine statt als biologischer Organismus –das ist das schwierige Erbe der Moderne.“3
Die Stadt bietet jedoch einen Mehrwert eben durch Gemeinschaft: Werden alle Bedürfnisse in den eigenen vier Wänden gestillt, und sogar die Arbeit ins Home-Office verlegt, welcher Teil der Stadt wird dann noch genutzt? Wann wird der Mehrwert des Zusammenlebens dann überhaupt abgerufen? Die Nutzung würde nicht über die einer einfachen Siedlung hinaus gehen. Lukas Feireiss und Tatjana Schneider von TheGreenEyl stimmen dem zu: “Eins lässt sich jedoch feststellen: Stadt in all ihrer Diversität stellt ein besonderes Phänomen und zutiefst menschliches Konstrukt dar. (…) Städte sind nicht nur Konstrukte aus Stein Beton und Holz, sondern auch komplexe Zeichensysteme, die Auskunft über Lebensverhältnisse und Zeitgeist geben.”4
Denn auch jetzt stehen wieder vor einer Gabelung der Geschichte, an dem wir uns für zwei Möglichkeiten entscheiden können: lassen wir uns von der Angst vor dem potentiellen Erreger im Nachbarn auf eine Realität ein, die einer neoliberale Traumwelt nahe kommt? In der wir alle Aktivitäten in unserem privaten Raum nachgehen – Heimkino und Fitnessraum im Einfamilienhaus inklusive? Der Flächenverbrauch würde steigen und die Ressource Boden, ein endliches Gut, könnte diesen Luxus nicht leisten (von der Leistbarkeit für die ganze Bevölkerung einmal abgesehen). Dadurch verstärken wir die bestehenden Probleme der Moderne sowie der spätkapitalistischen Gesellschaft: Die Zersiedelung ist schon heute maßgeblich für einen Großteil der Emissionen durch den Verkehr verantwortlich. Größere Wohnungen verbrauchen bei der Herstellung und Betrieb mehr Energie. Versiegelte Flächen führen zu einer Überhitzung der Städte und die kommunalen Freiflächen waren während der Pandemie gerne genutzte Erweiterungen der eigenen vier Wände. Die Isolation hat zu einer weiteren Vereinsamung in den Städten geführt und auch ohne bauliche Eingriffe wird das Vertrauen in die Gemeinschaft nur langsam wieder zurück kommen.
Für welches Leben und welches Szenario wollen wir planen. Bedeutet Resilienz in der Stadtplanung letztlich nur abwehrend und für den Ernstfall gewappnet? Ein Agieren aus Angst vor ungewissen Bedrohungen? Oder besinnen wir uns hauptsächlich auf jene Bedeutung der Resilienz, die sich durch eine schnelle Rückkehr zum Status Quo vor der Krise (bounce back) auszeichnet? Dies geschieht vor allem durch eine flexible Stadt, die agil auf Herausforderungen reagieren kann: Dann können Szenarien entstehen, welche ohne Suburbanisierung oder Abschottung in die eigenen vier Wände realisierbar sind. Sehr wahrscheinlich wird eine Umverteilung der Nutzflächen innerhalb der Städte stattfinden. Bereits vor der Pandemie erfreute sich das Homeoffice zunehmender Beliebtheit und mittlerweile sind es sogar auch die Arbeitgeber, welche ihre Angestellten auf Heimarbeit drängen. Zudem dürften Unternehmer auch nach Post-Corona-Zeit bestrebt sein, ihre Büroflächen nicht zu überfrachten. Ist es da wirtschaftlich noch sinnvoll, weiterhin viel Geld in Gewerbeimmobilien zu stecken, um große Büroflächen vorzuhalten, die in diesem Umfang nicht mehr benötigt werden? Das Konzept des Büros hat zwar nicht ausgedient, jedoch wird sich seine Bedeutung in Zukunft verändern. Bereits mehrere Monate nach dem Beginn der Pandemie begannen viele Unternehmen Büroflächen abzustoßen.5 Zusätzlich zu den Büros stehen, auch schon vor der Pandemie, vermehrt Gewerbeflächen in den Innenstädten leer. Die großen Shopping-Malls kämpfen nicht erst seit Corona gegen den Leerstand. Das Kaufverhalten der Menschen hat sich verändert und die Vermeidung größerer Menschenansammlungen tut ihr Übriges.6 Doch statt in dem vermehrten Leerstand der Gewerbeimmobilien und Büros den nahenden Tod der Innenstädte zu sehen, bieten die vielen freien Flächen Chancen für Umnutzungen im Sinne der Stadtgemeinschaft. Dies kann sowohl Wohnraum als auch konsumfreie Gemeinschaftsfläche sein, die während der Pandemie flexibel genutzt wird und das Leben im städtischen Raum auch für eine Zeit nach der Pandemie positiv beeinflusst. Neben stadtplanerischen Aspekten muss auch die Architektur auf die veränderten Bedürfnisse reagieren. Gebäude sollen von Anfang an für eine flexible Nutzung geplant werden um eine Rekonfiguration der Flächen möglich zu machen. Dies kann zum Beispiel durch Raumhöhen und Gebäudetiefen, welche sowohl für Wohn- als auch Büroräume funktionieren, erreicht werden.
Unabdingbar ist es jedoch, dass Planende und Architekturschaffende einen kühlen Kopf bewahren und die langanhaltende Konsequenz ihres Schaffens nicht außer Acht lassen, denn die gebaute Umwelt beeinflusst viele künftige Generation. Statt es den Starchitects gleichzutun und aus Angst und Gier den Interessen der Wirtschaft zu folgen, sollte wir als junge PlanerInnen gemeinsam an der Zukunft arbeiten, die wir auch noch erleben werden und erleben wollen.
(1) Lembke, Judith, Ochs, Birgit: “Acht Thesen, wie sich das Stadtleben verändern wird”, 26.04.2020, auf: Faz.net (2) Anas, Brittany: “How Coronavirus Will Change the Way We Build Homes”, 28.04.2020, auf: apartmenttherapy.com (3) Kühnlein, Andreas: “Warum Städte Fahrräder brauchen – Stadtplaner Jan Gehl im Interview”, 24.06.2020, auf: ad-magazin.de (4) Feireiss, Lukas, Schneider, Tatjana : “Living the City. Von Städten, Menschen und Geschichten” 2020 in: Living the City (5) Groll, Tina: “Viele Unternehmen wollen Büroflächen reduzieren” 25.08.2020, auf www.zeit.de (6) Petersen, Ralf: “Kaufhäuser sind ein Produkt der Vergangenheit“ 11.07.2020, auf www.rbb24.de
Welche Auswirkungen wird die Corona-Pandemie auf unsere Städte haben? – Überblick über einige Szenarien.
Dieser Text erschien im Dezember 2020 im LAMA Architekturmagazin – Ausgabe 2/9.
Die gemeinsame Nutzung von Ressourcen ist in überfüllten Städten schon lange eine wichtige Grundlage für die Verteilung des knappen Raumes. Gerechte Städte bieten eine Balance zwischen privatem Eigentum und dem Zugang zu Ressourcen für jeden Stadtbewohner ungeachtet seiner wirtschaftlichen Lage: Der steigende Flächenverbrauch pro Kopf konnte in den letzten Jahren auch durch die temporäre gemeinsame Nutzung von Gütern verlangsamt werden – der private Lebensraum wird mit gemeinschaftlich genutzten Stadträumen erweitert. Doch seit der Pandemie ist das Vergangenheit: Die eigenen vier Wände sind deckungsgleich mit dem Radius der neuen Normalität. Die Pandemie hat der Sharing Economy einen Riegel vorgeschoben und2 Stadtbewohner sind zurückgeworfen auf ihren privaten Raum, der jetzt für alle Aktivitäten herhalten muss: Home-Office statt Coworking, die eigene Küche statt Restaurants und Youtube-Workouts fürs Wohnzimmer statt Sport im Studio.
Das beliebte Konzept der SMART Wohnung, also flächenoptimierte Wohnungen zu unproportional hohen Preisen, funktionieren ohne gemeinschaftlich genutzte Räume kaum, sie sind schnell zu eng und klein. Private Freiräume werden zum Luxusgut, denn öffentliche Parks können unter Umständen nicht für Erholung herangezogen werden. Der wirtschaftliche Vorteil von Micro-Apartments konnte durch den steigenden Flächenverbrauch argumentiert werden; Sharing Konzepte versprechen eine gerecht geteilte Stadt, die marktwirtschaftliche Prinzipien an eben jene Probleme knüpft, denen die Städte aktuell gegenüber stehen. Judith Lembke und Birgit Ochs argumentieren in der konservativen Zeitung FAZ, dass Sharing in Zukunft als Schwäche angesehen wird: “Die Krise kratzt an der Idee, Flächen gemeinschaftlich zu nutzen, und damit an einer spezifisch städtischen Art zu leben. (…) Doch in Zeiten der Kontaktsperre sind eindeutig all jene im Vorteil, die drinnen und draußen möglichst viel eigenen Platz besitzen. (…) Hält Social Distancing länger an, versetzt das der Sharing-Bewegung nachhaltig einen Dämpfer.”1
Am anderen Ende der Welt sehen sich die Metropolen mit anderen Problemen konfrontiert: Die Schweizer Architektin Sybille Zimmermann lebt seit 1998 in LA und war verblüfft von Bauherren, die moderne Villen errichten, welche den Großteil ihrer Grundstücke einnehmen und wenig bis gar keinen Platz für Gärten lassen. Der angespannte Wohnungsmarkt in der Metropole verlangt die größtmögliche Gewinnerzielung durch absurdes Ausschöpfen der Baugrundstücke. Zudem gibt es keine Regelung für Abstandsflächen oder Konzepte für unversiegelte Gebiete in Siedlungen: Investoren in LA haben sich zu lange auf Parks und Naturschutzgebiet der Allgemeinheit verlassen. Zimmermann geht davon aus, dass die Menschen sich durch die Pandemie wieder mehr Raum für die Natur wünschen werden: „Wir müssen uns in der Natur bewegen können, und aufgrund von COVID-19 haben wir gelernt, dass unsere (Vor-) Gärten die sichersten Orte dafür sind“ sagt sie.2
Anstatt die neue Situation mit all ihrer multikausale Zusammenhänge für die Gesellschaft zu erfassen, reagierte ein Großteil der Architekturbranche mit Ideen innerhalb ihrer Blase: nur wenige Wochen nach dem Lockdown wurden bereits Ideenwettbewerbe für die Findung der idealen Lock-Down Wohnung ausgeschrieben. PlanerInnen aus der ganzen Welt stellten Theorien über die Zukunft der Stadt Post-Corona auf: der Individualverkehr werde zunehmen, eine erneute Landflucht werde die Konsequenz sein und die Wohnungen müssten größer und besser ausgestattet werden. All diese Szenarien liegen klar im marktwirtschaftlichen Interesse, sind sie aber auch im Interesse des Individuum? Denn diese Annahmen lassen eine wichtige Frage außen vor: Für welches Szenario planen wir? Wollen wir als Architekten erneut die Art des Zusammenlebens für Jahrzehnte so beeinflussen, dass die gebaute Umfeld für ein spezifisches Szenario besser funktioniert? Und dabei aber die vielen größeren Aufgaben und Gefahren außer Acht lassen, deren Konsequenzen noch nicht dieselbe Dringlichkeit erreicht haben.
Die Moderne war bereits vor 100 Jahren angetreten um durch Luft, Licht und sanitäre Anlagen die Hygieneprobleme der Großstädte zu lösen. Holz und Stoff wurden als Materialien von Fliesen, Stahl und Glas als leichter zu reinigende Oberflächen abgelöst. Die Städte sollten luftiger und weniger dicht werden, die Enge der europäischen Innenstädte wurde aufgelockert und ein Städtebau mit überdimensionierten Abstandsflächen versprach (unter anderem) eine gesündere Bevölkerung. Stadtplaner Jan Gehl kritisiert: “Dabei hatte kurz zuvor das Penicillin das Bakterienproblem gelöst; an seine Stelle traten neue Probleme – Stress, Entfremdung, Vereinzelung, Verkehr. Auch darauf hat die Architektur Antworten gesucht, trotzdem baute man weitere 40 Jahre lang, als ob unser größtes Problem immer noch die Tuberkulose wäre.” Seit Jahren setzt er sich für eine Demokratisierung der Städte ein, einen öffentlichen Raum der sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert – und dem die Moderne widerspricht: „Die Stadt als Maschine statt als biologischer Organismus –das ist das schwierige Erbe der Moderne.“3
Die Stadt bietet jedoch einen Mehrwert eben durch Gemeinschaft: Werden alle Bedürfnisse in den eigenen vier Wänden gestillt, und sogar die Arbeit ins Home-Office verlegt, welcher Teil der Stadt wird dann noch genutzt? Wann wird der Mehrwert des Zusammenlebens dann überhaupt abgerufen? Die Nutzung würde nicht über die einer einfachen Siedlung hinaus gehen. Lukas Feireiss und Tatjana Schneider von TheGreenEyl stimmen dem zu: “Eins lässt sich jedoch feststellen: Stadt in all ihrer Diversität stellt ein besonderes Phänomen und zutiefst menschliches Konstrukt dar. (…) Städte sind nicht nur Konstrukte aus Stein Beton und Holz, sondern auch komplexe Zeichensysteme, die Auskunft über Lebensverhältnisse und Zeitgeist geben.”4
Denn auch jetzt stehen wieder vor einer Gabelung der Geschichte, an dem wir uns für zwei Möglichkeiten entscheiden können: lassen wir uns von der Angst vor dem potentiellen Erreger im Nachbarn auf eine Realität ein, die einer neoliberale Traumwelt nahe kommt? In der wir alle Aktivitäten in unserem privaten Raum nachgehen – Heimkino und Fitnessraum im Einfamilienhaus inklusive? Der Flächenverbrauch würde steigen und die Ressource Boden, ein endliches Gut, könnte diesen Luxus nicht leisten (von der Leistbarkeit für die ganze Bevölkerung einmal abgesehen). Dadurch verstärken wir die bestehenden Probleme der Moderne sowie der spätkapitalistischen Gesellschaft: Die Zersiedelung ist schon heute maßgeblich für einen Großteil der Emissionen durch den Verkehr verantwortlich. Größere Wohnungen verbrauchen bei der Herstellung und Betrieb mehr Energie. Versiegelte Flächen führen zu einer Überhitzung der Städte und die kommunalen Freiflächen waren während der Pandemie gerne genutzte Erweiterungen der eigenen vier Wände. Die Isolation hat zu einer weiteren Vereinsamung in den Städten geführt und auch ohne bauliche Eingriffe wird das Vertrauen in die Gemeinschaft nur langsam wieder zurück kommen.
Für welches Leben und welches Szenario wollen wir planen. Bedeutet Resilienz in der Stadtplanung letztlich nur abwehrend und für den Ernstfall gewappnet? Ein Agieren aus Angst vor ungewissen Bedrohungen? Oder besinnen wir uns hauptsächlich auf jene Bedeutung der Resilienz, die sich durch eine schnelle Rückkehr zum Status Quo vor der Krise (bounce back) auszeichnet? Dies geschieht vor allem durch eine flexible Stadt, die agil auf Herausforderungen reagieren kann: Dann können Szenarien entstehen, welche ohne Suburbanisierung oder Abschottung in die eigenen vier Wände realisierbar sind. Sehr wahrscheinlich wird eine Umverteilung der Nutzflächen innerhalb der Städte stattfinden. Bereits vor der Pandemie erfreute sich das Homeoffice zunehmender Beliebtheit und mittlerweile sind es sogar auch die Arbeitgeber, welche ihre Angestellten auf Heimarbeit drängen. Zudem dürften Unternehmer auch nach Post-Corona-Zeit bestrebt sein, ihre Büroflächen nicht zu überfrachten. Ist es da wirtschaftlich noch sinnvoll, weiterhin viel Geld in Gewerbeimmobilien zu stecken, um große Büroflächen vorzuhalten, die in diesem Umfang nicht mehr benötigt werden? Das Konzept des Büros hat zwar nicht ausgedient, jedoch wird sich seine Bedeutung in Zukunft verändern. Bereits mehrere Monate nach dem Beginn der Pandemie begannen viele Unternehmen Büroflächen abzustoßen.5 Zusätzlich zu den Büros stehen, auch schon vor der Pandemie, vermehrt Gewerbeflächen in den Innenstädten leer. Die großen Shopping-Malls kämpfen nicht erst seit Corona gegen den Leerstand. Das Kaufverhalten der Menschen hat sich verändert und die Vermeidung größerer Menschenansammlungen tut ihr Übriges.6 Doch statt in dem vermehrten Leerstand der Gewerbeimmobilien und Büros den nahenden Tod der Innenstädte zu sehen, bieten die vielen freien Flächen Chancen für Umnutzungen im Sinne der Stadtgemeinschaft. Dies kann sowohl Wohnraum als auch konsumfreie Gemeinschaftsfläche sein, die während der Pandemie flexibel genutzt wird und das Leben im städtischen Raum auch für eine Zeit nach der Pandemie positiv beeinflusst. Neben stadtplanerischen Aspekten muss auch die Architektur auf die veränderten Bedürfnisse reagieren. Gebäude sollen von Anfang an für eine flexible Nutzung geplant werden um eine Rekonfiguration der Flächen möglich zu machen. Dies kann zum Beispiel durch Raumhöhen und Gebäudetiefen, welche sowohl für Wohn- als auch Büroräume funktionieren, erreicht werden.
Unabdingbar ist es jedoch, dass Planende und Architekturschaffende einen kühlen Kopf bewahren und die langanhaltende Konsequenz ihres Schaffens nicht außer Acht lassen, denn die gebaute Umwelt beeinflusst viele künftige Generation. Statt es den Starchitects gleichzutun und aus Angst und Gier den Interessen der Wirtschaft zu folgen, sollte wir als junge PlanerInnen gemeinsam an der Zukunft arbeiten, die wir auch noch erleben werden und erleben wollen.
(1) Lembke, Judith, Ochs, Birgit: “Acht Thesen, wie sich das Stadtleben verändern wird”, 26.04.2020, auf: Faz.net
(2) Anas, Brittany: “How Coronavirus Will Change the Way We Build Homes”, 28.04.2020, auf: apartmenttherapy.com
(3) Kühnlein, Andreas: “Warum Städte Fahrräder brauchen – Stadtplaner Jan Gehl im Interview”, 24.06.2020, auf: ad-magazin.de
(4) Feireiss, Lukas, Schneider, Tatjana : “Living the City. Von Städten, Menschen und Geschichten” 2020 in: Living the City
(5) Groll, Tina: “Viele Unternehmen wollen Büroflächen reduzieren” 25.08.2020, auf www.zeit.de
(6) Petersen, Ralf: “Kaufhäuser sind ein Produkt der Vergangenheit“ 11.07.2020, auf www.rbb24.de